Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens
Hofmann, der Direktor Wurm, Generalkommissär von Stichaner mit Frau und Töchtern und einige andre Herrschaften; alle kamen in großer Gala. Man war sehr gespannt auf Caspars erstes Erscheinen in der hiesigen Gesellschaft.
Sein Auftreten enttäuschte nicht. Wie fetierte man ihn, bemühte man sich um ihn; man sagte ihm Komplimente, die lächerlichsten Komplimente, lobte seine kleinen Ohren und schmalen Hände, fand, daß ihm die Narbe auf der Stirn, die vom Schlage des Vermummten herrührte, interessant zu Gesicht stehe, bestaunte sein Reden und sein Schweigen und wähnte damit den Lord zu entzücken, der sich jedoch über eine gemessene Höflichkeit hinaus nicht verpflichtete und dem überschwenglichen Wesen der Damen seinen verbindlichsten Sarkasmus entgegensetzte.
Nachdem die Tafel aufgehoben war, erschien der Kämmerling des Lords und brachte ein Paket, welches in ungefähr einem Dutzend Exemplaren das in Kupfer gestochene Porträt Stanhopes enthielt, worauf er in Pairstracht mit der Grafenkrone dargestellt war. Er verteilte die Bilder an »die lieben Ansbacher Freunde«, wie er mit bezauberndem Lächeln sagte.
Das Kunstwerk erfuhr die lauteste Bewunderung, sowohl in bezug auf die Ähnlichkeit wie auf die Ausführung; als jeder seinen Dank gezollt, kam das Gespräch auf Bilder überhaupt, und es entstand eine Meinungsverschiedenheit darüber, ob man aus den Zügen eines Porträts auf die Charaktereigenschaften der betreffenden Person schließen könne. Der Hofrat Hofmann, als der negative Geist, der er überhaupt war, bestritt es mit großer Lebhaftigkeit und mit Aufwand von vielen Gründen; er sagte, jedes Bildnis gebe schließlich doch nur eine Essenz der besten oder einschmeichelndsten oder am offensten sich darbietenden Eigenschaften, es komme dem Maler oder Stecher nur darauf an, einen besonderen,seinem Kunstwesen verwandten Zug bis zur vorgesetzten Wirkung zu übertreiben, so daß von der wahren Art des betreffenden Menschen kaum noch etwas übrigbleibe. Dem wurde heftig widersprochen; das hänge ja vor allem von dem Genie des Künstlers ab, wurde erwidert, und Lord Stanhope, der die Äußerungen des Hofrats bei diesem Anlaß als einen Mangel an Delikatesse empfinden mußte, ereiferte sich sehr gegen seine sonstige Gepflogenheit und behauptete, er seinerseits getraue sich aus jedem Bildnis, wen es auch darstelle und von wessen Hand auch immer es gefertigt sei, die seelische Beschaffenheit der abgebildeten Person zu erraten.
Bei diesen Worten lächelte die Hausfrau bedeutungsvoll. Sie verschwand in einem Nebenraum und kehrte alsbald mit einem goldgerahmten ovalen Ölbild zurück, das sie, noch immer lächelnd, in kurzer Entfernung von dem Grafen aufrecht auf den Tischrand stellte. Die Gäste drängten sich herzu, und fast von allen Lippen erscholl ein Ausruf der Bewunderung.
Es war ein äußerst lebendig und natürlich gemaltes Bild, welches eine junge Frau von verblüffender Schönheit darstellte: ein Gesicht weiß wie Alabaster und überhaucht von zartem Rosenrot; klare und ebenmäßige Züge, einen Blick, dem offenbar die Kurzsichtigkeit etwas Poetisches und Schüchternes gab, und im ganzen der Physiognomie ein himmlisches Leuchten von Gefühl.
»Nun, Mylord?« fragte Frau von Imhoff schelmisch.
Stanhope nahm eine neunmalweise Miene an und ließ sich vernehmen: »Wahrlich, in diesemGeschöpf verbindet sich orientalische Weichheit mit andalusischer Grazie.«
Frau von Imhoff nickte, als ob sie das Gesagte vortrefflich fände. »Schön, Mylord,« meinte sie, »wir wollen etwas über den Charakter der Dame wissen.«
»O, man will mich attrappieren!« versetzte Stanhope heiter. »Nun gut. Ich denke, es ist das eine Frau, welche jede Art von Leiden oder Ungemach mit außerordentlicher Langmut zu ertragen versteht. Sie ist sanft, sie ist gottesfürchtig, sie liebt den idyllischen Frieden des Landlebens, ihre Neigungen gehören den schönen Künsten –«
Frau von Imhoff konnte nicht mehr an sich halten und brach in belustigtes Lachen aus. »Ich bin sicher, Graf, daß Sie nur, um mich zu necken, eine so falsche Deutung unternommen haben,« sagte sie.
Der Hofrat machte ein mokantes Gesicht, Stanhope errötete. »Wenn ich mich blamiert habe, so belehren Sie mich eines Bessern, gnädige Frau,« antwortete er galant.
»Um das zu können, müßte ich Ihre Geduld länger als wünschbar in Anspruch nehmen,« sagte Frau von Imhoff plötzlich ernst. »Ich müßte Ihnen von dem ungewöhnlichen Schicksal dieser
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