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Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Titel: Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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durchaus weltlich gestimmt, in Frage und Antwort aus erster Hand, das Gegensätzliche mühelos erfassend und phantasievoll verknüpfend.
    Die Wandlung kam bald. Ein unbedeutender Anlaß führte sie herbei.
    Eines Tages, während der Rückkehr nach der Stadt, sprach sich Stanhope darüber aus, wie fruchtbar es für die innere Haltung eines Menschen sei, wenn er seine Erlebnisse nicht leichtsinnig vorüberfließen lasse, sondern sie moralisch zu nützen suche, indem er durch schriftliche oder mündliche Mitteilung den Stoff seines Nachdenkens bereichere. Caspar fragte, wie er das meine; statt der Antwort stellte der Graf, den dieser Umstand längst beunruhigte, die lauernde Gegenfrage, ob Caspar noch ein Tagebuch führe.
    Caspar bejahte.
    »Und willst du mir nicht gelegentlich daraus vorlesen?«
    Caspar erschrak, überlegte und antwortete zögernd, ja, er wolle es tun.
    »So nehmen wir die gute Stunde wahr und machen uns gleich daran,« sagte Stanhope. »Ich wünsche nur einen ungefähren Einblick zu erhalten und bin neugierig, wie du so etwas anpackst.«
    Zu Hause angelangt, begleitete der Lord Caspar auf dessen Zimmer und nahm, der Erfüllung des Versprechens gewärtig, auf dem Kanapee Platz. Im Ofen prasselte Feuer; draußen herrschte seit dem Mittag starker Tauwind;es dämmerte schon, die Hügel waren violett umschleiert.
    Caspar machte sich unter seinen Büchern zu schaffen, doch Minute auf Minute verging, ohne daß er sich im geringsten anschickte zu tun, was Stanhope erwartete.
    »Nun, Caspar,« meldete sich endlich ungeduldig der Graf, »ich bin bereit.«
    Da gab sich Caspar einen Ruck und sagte, er könne nicht.
    Stanhope sah ihn groß an; Caspar schlug die Augen nieder. Das Tagebuch sei unter vielen andern Sachen versteckt, und es sei unbequem, es zu erreichen, murmelte er stockend.
    »So so,« versetzte der Lord und lachte fast lautlos durch die Nase. »Wie flink du in Ausflüchten bist, Caspar; ich hätte nicht geglaubt, daß du so flink in ... Ausflüchten bist. Ei, sieh doch!«
    In diesem Moment klopfte und scharrte es an der Tür, der Lord rief und die Gestalt Quandts schob sich langsam ins Zimmer. Er tat erstaunt, den Herrn Grafen hier zu finden, und fragte, ob Seiner Lordschaft eine kleine Erfrischung gefällig sei. Der Lord dankte stumm und heftete den Blick fortgesetzt auf Caspar.
    Quandt merkte gleich, daß da was auf der Pfanne brodelte. Er erkundigte sich, ob Seine Herrlichkeit Anlaß habe, mit dem Hauser unzufrieden zu sein. Stanhope entgegnete, er habe allerdings einigen Grund, sich zu ärgern, und in kurzen Worten teilte er dem Lehrer mit, worum es sich handle. Hierauf, zu Caspar gewandt, sagte er laut und markiert: »Wenn es von vornherein nicht in deiner Absicht lag, mir von deinenIntimitäten Kenntnis zu geben, so hättest du es nicht versprechen dürfen. Und wenn du dein Versprechen bereut hast, so durftest du es schicklich wieder zurücknehmen. Aber statt dessen zu einer solchen« – eine beredte kleine Pause – »Ausflucht zu greifen, das scheint mir deiner und meiner nicht würdig.«
    Er erhob sich und verließ das Zimmer. Quandt folgte ihm. Unten im Flur blieb Stanhope stehen und fragte den Lehrer kurz angebunden, ob er sich in der verflossenen Zeit schon ein Urteil über die Fähigkeiten und den guten Willen Caspars gebildet habe.
    »Eben wollte ich Eure Lordschaft ergebenst ersuchen, mir zur Besprechung dieses Punktes eine Viertelstunde Gehör zu schenken,« erwiderte Quandt. Er nahm das Öllämpchen vom Nagel und bekomplimentierte den Lord in sein Studio. Indes sich Stanhope in den Lederstuhl setzte, Bein auf Bein kreuzte und gelangweilt in die Luft starrte, ramschte Quandt seine Notizblätter zusammen und sagte, er habe den Hauser gleich vom ersten Tag an tüchtig vorgenommen, ihm diktiert, ihn lesen und rechnen lassen, die deutsche und lateinische Grammatik abgefragt, alles aus dem Gröbsten und nur des Überblicks halber.
    »Und das Ergebnis?« fragte Stanhope, wobei die Langweile seine Nasenflügel auseinander dehnte.
    »Das Ergebnis? Leider ziemlich trostlos, leider!«
    Es mußte ein Schmerz für Herrn Quandt sein, denn in diesem »leider« lag ein tiefgefühlter Ton. Es mußte ein Schmerz für ihn sein, daß Caspars Handschrift so viel zu wünschen übrigließ. »Er hat nichts Freies und Zügiges inseiner Hand, und mit der Orthographie steht er auf gespanntem Fuß,« sagte er. Es mußte ein Schmerz für Quandt sein, wenn ein Mensch den Dativ nicht in allen Fällen vom

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