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Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Titel: Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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Mantelumhang flatterte hochauf, und mit beiden Händen mußte er die Ränder seines Schlapphuts festhalten.
    Kurz nach dem Lehrer hatte Caspar heimlich das Haus verlassen, eigentlich ohne Ziel. Als er auf der Straße war, fiel ihm ein, ob er nicht zu Frau von Imhoff gehen könne, und ungeachtet der Dunkelheit und des bösen Wetters, und obgleich das Imhoffschlößchen eine Viertelstunde vor der Stadt gelegen war, entschloß er sich dazu. Aber als er angelangt war, als er am Gittertor stand und zu den erleuchteten Fenstern hinaufschaute, schwand ihm alle Lust und er fürchtete sich vor den hellen Zimmern. Sah er sich doch schon droben; hörte er doch schon die Worte, die ihm nichts waren und nichts galten, er kannte sie alle, er hätte sie auswendig an der Schwelle hersagen können. Ja, er kannte nun die Worte der Menschen, er erfuhr nichts Neues durch sie, sie fielen in das unermeßliche Meer seiner Traurigkeit wie kleine trübe Tropfen, deren Aufschall die Tiefe verschlang.
    Ein Schatten glitt an den Fenstern vorbei, ein andrer folgte. So weilten sie in ihren Wohnungen, still und emsig, zündeten ihre Lichter an und wußten nicht, wer draußen stand am Tor.
    Mitten im Windgebrause vernahm Caspar Töne wie von einem Saiteninstrument, das unter den Wolken aufgehängt war. Es befand sich nämlich auf dem Dach des Schlößchens eine Aeolsharfe, Caspar wußte dies nicht und hielt es füreine geisterhafte Musik. Als er den Rückweg antrat, schlugen immer von Zeit zu Zeit die orgelnden Akkorde an sein Ohr.
    Er wünschte noch nicht heimzugehen; der gleiche dumpfe Drang, der ihn vor das Schlößchen der Imhoffs getrieben hatte, führte ihn noch zum Hause des Generalkommissärs, dann zum Haus des Regierungspräsidenten, dann zum Feuerbachschen Haus und schließlich vor ein Gebäude, das unbewohnt war und das mit seinen verschlossenen Läden, seinen bemosten Simsen und seinem hochbogigen Tor, über welchem ein Auge in den Stein und darüber die Worte gemeißelt waren: »Zum Auge Gottes«, schon lang vorher seine Wißbegier aufgeweckt hatte. Zur Markgrafenzeit sollte ein Goldmacher darin gewohnt haben.
    Es war ihm zumute, wie wenn er in all diesen Häusern zu Gast gewesen sei, wie wenn er unsichtbar unter ihren Bewohnern oder in ihren leeren Räumen herumgegangen sei und als ob er dabei eine merkwürdige Kenntnis von dem vergangenen und gegenwärtigen Leben ihrer Menschen gewonnen hätte.
    Ziemlich müde und dabei tief erregt langte er im Lehrerhaus an. Quandt und seine Frau waren noch nicht daheim, die Kinder schliefen, die Magd war nicht zu sehen, es herrschte eine große Stille, nur der Wind umheulte die Mauern, und das Flurlämpchen flackerte wie vor Furcht. Da, während Caspar zur Treppe schritt, vernahm er eine langgezogene feine Stimme, ähnlich dem Zirpen der Sommergrille, und die Stimme rief:
    »Stephan!«
    Er blieb befremdet stehen und sah sich um. Da alles ruhig war, glaubte er sich getäuscht zuhaben, glaubte, es sei eine Stimme draußen auf der Straße gewesen. Aber kaum hatte er drei Schritte getan, so erschallte die Stimme neuerdings, nur unvergleichlich lauter, anscheinend aus dichterer Nähe:
    »Stephan!«
    Es war etwas unendlich Ergreifendes in dem Ton; es klang, wie wenn einer, der zu ertrinken fürchtet, aus dem Wasser ruft. Unverkennbar war es eine männliche Stimme, die nun zum drittenmal wie von Schluchzen erstickt ausrief:
    »Stephan!«
    Kein Zweifel, der Ruf galt ihm, ihm, Caspar. Er streckte die Arme aus und fragte: »Wo? Wo bist du? Wo bist du?«
    Da sah er oben über der Tür, körperlos schwebend, ein fahlleuchtendes Gesicht. Es war das Gesicht Stanhopes, mit aufgerissenen Augen und aufgerissenem Mund, wie in äußerstem Schrecken verzerrt, häßlich, schier unkenntlich häßlich.
    Caspar verharrte angewurzelt an seinem Platz, seine Glieder, ja seine Augen waren wie versteinert. Als er zum zweitenmal hinblickte, war das Antlitz verschwunden, auch die Stimme ließ sich nicht mehr vernehmen. Flur und Stiege erleuchtet, alle Türen zu, kein Mensch zu sehen, kein Laut zu hören.
Es wird eine Reise beschlossen
    Eines Nachmittags im Dezember sahen erstaunte Nachbarn den Lehrer Quandt wie besessenaus seinem Haus und gegen die Neustadt stürmen, wo die Wohnung des Polizeileutnants lag. Er trat ins Zimmer des Leutnants, und ohne sich Zeit zu gönnen, seinen Hut vom Kopf zu nehmen, griff er in die Rocktasche und hielt Hickel wortlos ein dünnes Druckheft entgegen.
    Es war die vor kurzem erschienene

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