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Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Titel: Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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Caspar-Hauser-Broschüre Feuerbachs. Quandt hatte das Büchlein erst heute in die Hände bekommen und es in einem Zug durchgelesen.
    Hickel nahm das Heft, besah es rundum und sagte gelassen: »Na, und? Was soll’s? Meinen Sie, daß das eine Neuigkeit für mich ist? Sie echauffieren sich doch nicht etwa? Der Alte schreibt, weil das sein Geschäft ist. Eher können Sie einer Henne das Eierlegen abgewöhnen als einem geborenen Federfuchser das Schreiben.«
    Quandt atmete tief auf. »Schreiben, schön; ich lasse ja vieles gelten,« antwortete er, »aber das geht denn doch zu weit. Erlauben Sie –« er packte das Heft, schlug das Titelblatt auf und las vor: »Caspar Hauser oder Beispiel eines Verbrechens am Seelenleben des Menschen. Das klingt ja nach etwas,« sagte er bitter; »es streut den Leuten von vornherein Sand in die Augen. Aber das Ganze ist ein Roman, und nicht einmal einer von der besten Sorte.«
    Er blätterte und deutete mit dem Finger auf eine Stelle, die er gleichfalls höhnisch betont vorlas: »Caspar Hauser, das rare Exemplar der Gattung Mensch –! Lieber Herr Polizeileutnant, da bin ich mit meiner Weisheit zu Ende. Das kommt mir so vor, als ob man den notorisch schlechtesten meiner Schüler vor versammeltem Volk als einen großen Gelehrten erklärte. RaresExemplar! In dem Punkt weiß ich besser Bescheid, halten zu Gnaden, Exzellenz; da könnte ich einem verehrlichen Publiko ganz anders die Augen öffnen. Rares Exemplar, gewiß! Aber man muß nur auch das Alphabet von vorne und nicht von hinten lesen. Das ist also der große Kriminalist, der bestaunte Alleswisser! So sieht der Ruhm aus, wenn man ihn aus der Nähe betrachtet! Und nun erst das ganze dynastische Hintertreppenmärchen! Es wäre ja zum Lachen, wenn es nicht so traurig wäre. Herrgott, ist das eine Zeit, ist das eine Welt!«
    Der Polizeileutnant hörte mit kaum merklichem Lächeln den Ausbruch des Lehrers an. Als Quandt zu Ende war, sagte er gleichmütig: »Was wollen Sie? Als getreue Diener sind wir nun einmal dazu verurteilt, die dummen Streiche unsrer Herrschaft mitanzusehen. Übrigens kann ich Sie in einer Hinsicht beruhigen. Der Präsident hat selber keine rechte Freude an dem Büchlein. Er klagt über Gedächtnisfehler, die ihm dabei passiert sind, und daß es ihn mehr Mühe gekostet hat, die Geschichte zu Papier zu bringen, denn ein ganzes Corpus juris. Und jetzt muß er’s erleben, daß man ihm draußen im Reich hart zusetzt. Es geht die Rede, daß die Bundeskommission zu Frankfurt die Schrift konfiszieren wird.«
    »Recht so,« rief Quandt. »Auch die Fürsten sollten etwas dagegen unternehmen.«
    »Das lassen Sie nur die Sache der Fürsten sein,« versetzte Hickel, dessen Gesicht plötzlich böse und sorgenvoll wurde. »Potz Kreuz, lieber Quandt, Sie ereifern sich ja da, als ob’s Ihnen an den Kragen ginge. Ich möchte nur gar zu gernwissen, ob Sie auch so viel Mut zeigen würden, wenn die Exzellenz dahier im Zimmer wäre.«
    Quandt schaute sich mißtrauisch um. Dann zuckte er die Achseln und erwiderte: »Sie belieben zu scherzen, Herr Polizeileutnant. Schlimm genug, daß man mit seiner wahren Meinung hinterm Berg halten muß. Wir haben alle vergessen, wie ein Mann den Kopf tragen soll. Kuschen, das haben wir gelernt, das verstehen wir von Grund aus. Aber ich will nicht mehr kuschen.«
    »Pst!« unterbrach ihn Hickel unwirsch; »lassen wir das; es schmeckt nach Demagogentum. Sagen Sie mir lieber: Hat der Hauser Kenntnis von der Broschüre?«
    »Nicht daß ich wüßte,« entgegnete Quandt. »Aber es wird nicht zu vermeiden sein, daß er davon erfährt, gibt es doch Unverständige genug, die sich ein Vergnügen daraus machen werden. Haben Sie, Herr Polizeileutnant, nicht auch von der Schrift eines gewissen Garnier gehört?«
    Bei der Nennung dieses Namens zuckte Hickel zusammen und sah den Lehrer finster an. Es dauerte eine ganze Weile, bevor er sich zu einer Antwort entschloß. »Garnier? Ja, das ist ein landesflüchtiges Subjekt. In seinem Pamphlet bringt er dieselben sinnlosen Dinge vor wie der Staatsrat, bloß noch verbrämt mit dem windigsten Hofklatsch. Das Machwerk ist nicht der Rede wert.«
    »Wie soll ich mich aber verhalten, wenn der Hauser irgendwie in den Besitz eines dieser Produkte kommt?« fragte Quandt.
    Hickel spazierte mit seinen langen Schritten herum und nagte mit den Zähnen nervös an derUnterlippe. »Treffen Sie Vorsorge,« erwiderte er kalt. »Lassen Sie ihn nicht aus den Augen. Mich kümmert das

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