Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens
übrigens gar nicht; ist mir völlig egal. Man wird den jungen Mann schon karwanzen.«
Quandt seufzte. »Herr Polizeileutnant,« sagte er bedrückt, »ich kann Ihnen nicht schildern, wie mir ist. Meine halbe Seligkeit gäb’ ich drum, wenn es mir vergönnt wäre, den Menschen zu einem offenen Geständnis zu bringen.«
»Man wird’s Ihnen billiger machen,« versetzte Hickel düster.
»Wissen Sie denn das Neueste?« fuhr Quandt fort. »Der Präsident will den Hauser als Schreiber beim Appellgericht beschäftigen. Morgen soll er schon anfangen.«
»Und was wird der Graf dazu sagen?«
»Man hat es ihm schreiben wollen; weiß aber nicht, wo er sich aufhält. Es ist seit vier Wochen nur ein einziger Brief von ihm gekommen, und den hat der Hauser nicht einmal angesehen. Meines Erachtens muß er sich über die Maßregel freuen. Für ein Metier im engeren Sinn ist der Hauser doch nicht zu brauchen, er hat leider den Verkehr mit den gebildeten und höheren Ständen zu lange genossen, als daß es ihn nicht rebellisch machen müßte, wenn er ihn plötzlich mit der Umgebung in einer Werkstätte vertauschen müßte. Anderseits ist er auch zu einem Beruf ungeeignet, der eine tiefere Ausbildung erfordert, denn zu einem ernsthaften Studium fehlt ihm Sinn und Ausdauer. Der Staatsrat hat demnach die beste Lösung getroffen, die auch mich von einem Teil meiner Verantwortlichkeit entlastet. Bei der Schreiberei kann sich der Hausernicht nur zu einem Beamten des niederen Dienstes, sondern bei einigem Fleiß sogar für eine Stelle beim Registratur- oder Rechnungswesen ausbilden.«
Hickel hörte der weitläufigen Auseinandersetzung kaum zu. Sie gingen nun zusammen fort; vor der Hofapotheke verabschiedete sich Hickel, um sich, wie er sagte, ein Pülverchen gegen Schlaflosigkeit verschreiben zu lassen.
Auf dem Nachhauseweg wurde Quandt vom Hofrat Hofmann sehr freundlich gegrüßt, eine Tatsache, die hinreichend war, seine mürrische Stimmung ungemein aufzuheitern. Beim Mittagessen, es gab Kalbsbrust und Ochsenmaulsalat, wurde er sogar lustig und trieb allerlei Scherze mit seiner Gattin. Aber wie es bei seriösen Naturen der Fall zu sein pflegt, geriet seine Aufgeräumtheit ziemlich ins Plumpe. Unter anderm nahm er das Messer und fuchtelte der Lehrerin lachend damit vor der Nase herum. Da erblaßte Caspar, stand auf und sagte: »Um Gottes willen, Herr Lehrer, legen Sie doch das Messer weg, ich kann’s nicht sehen.«
Quandt, gleich wieder verdrießlich, brummte: »Na, hören Sie mal, Hauser, ein solches Betragen schmeckt stark nach Affektation.«
»Sie sind ein schöner Tappel,« sagte die Lehrerin, »ein Mann muß mutig sein. Was wollen Sie denn tun, wenn’s mal Krieg gibt? Da heißt es mit Anstand sterben.«
»Sterben? Nein, da sag’ ich Dank, sterben mag ich nicht,« erwiderte Caspar hastig.
»Und doch haben Sie sich damals vor dem Polizeileutnant in einer höchst widerwärtigen Weise über denselben Punkt geäußert,« ließ sich Quandt vernehmen.
»Nein, so feig,« fuhr die Lehrerin fort, »mit dem Kadetten Hugenpoet von den Dragonern haben Sie sich letzten Sommer ja auch einmal so feig benommen.«
»Was ist denn das für eine Geschichte?« erkundigte sich Quandt, »davon weiß ich gar nichts.«
»Er war doch mit dem Kadetten oft beisammen; der hat dem Hauser immerzu vorgeschwärmt, er soll Soldat werden, in ein paar Jahren brächt’ er es leicht zum Offizier. Wär’ ja nicht so übel, die Kadetten haben es gut und kommen schnell vorwärts. Unser Hauser war auch begeistert von der Idee, aber auf einmal war die Freundschaft aus.«
»Ei, und aus welchem Grund?«
»Das war so. An einem Abend im September ist er mit dem Kadetten am Rezatufer spazieren gegangen, und sie sind zu einer Stelle gekommen, wo viele Knaben und Burschen sich gebadet haben, denn es war furchtbar warm an dem Tag. Der Kadett sagt, das wollen wir auch machen, zieht sich aus und will den Hauser überreden, gleichfalls zu baden. Der war aber zu Tod erschrocken von dem Vorschlag und sagt, ins Wasser geht er nicht. Das hören die andern, steigen heraus, stellen sich um ihn herum, verspotten ihn und wollen ihn mit Gewalt ins Wasser bringen. Da reißt er sich los, eh’ man sich’s versieht, ist er in seiner Höllenangst über die Felder davongelaufen, und die nackigten Kerle höhnen hinter ihm her. Dem Kadetten war’s zu bunt, und er sieht ihn nicht mehr an seitdem. Ist’s wahr, Hauser, oder nicht?«
Caspar nickte. Der Lehrer schüttelte sich vor
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