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Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Titel: Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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Blühen forderten eher zu heiteren Gesprächen auf, aber um den Schläfer lag ein eigner Bann, jeder spürte die Gegenwart des Jünglings jetzt stärker als vorher, und es hatte bei einigen gleichgültigen Redensarten sein Bewenden, die leiser klangen als selbst die Atemzüge des Schlummernden. Weit und breit war kein Mensch zu sehen, da man absichtlich einen selten begangenen Weg gewählt hatte.
    Die Sonne war am Sinken, als Caspar erwachte und, sich aufrichtend, die Freunde der Reihe nach dankbar und etwas beschämt anblickte. »Sieh nur hinüber, Caspar, sieh den roten Feuerball,« sagte Daumer; »hast du die Sonne schon einmal so groß gesehen?«
    Caspar schaute hin. Es war ein schöner Anblick: die purpurne Scheibe rollte herab, als zerschnitte sie die Erde am Rand des Himmels; ein Meer von Scharlachglut strömte ihr nach, die Lüfte waren entzündet, blutiges Geäder bezeichnete einen Wald und rosige Schatten bauschten langsam über die Ebene. Nur noch wenige Minuten, und schon zuckte die Dämmerung durch den sanften Karmin des Nebels, in den die Ferne getaucht war, einen Augenblick lang bebte das Gelände,und grünkristallene Strahlenbündel schossen über den Westen, der versunkenen Sonne nach.
    Ein geisterhaftes Lächeln glitt über die Züge der beiden Männer und der zwei Frauen, als sie Caspar mit einer Gebärde stummer Angst hinübergreifen sahen gegen den Horizont. Daumer näherte sich ihm und ergriff seine Hand, die eiskalt geworden war. Caspars Gesicht wandte sich erzitternd ihm zu, voller Fragen, voller Furcht, und endlich bewegten sich die Lippen und er murmelte schüchtern: »Wo geht sie hin, die Sonne? Geht sie ganz fort?«
    Daumer vermochte nicht gleich zu antworten. So mag Adam vor seiner ersten Nacht im Paradies gezittert haben, dachte er, und es geschah nicht ohne Schauder, nicht ohne seltsame Ungewißheit, daß er den Jüngling tröstete, ihn der Wiederkunft der Sonne versicherte.
    »Ist dort Gott?« fragte Caspar hauchend, »ist die Sonne Gott?«
    Daumer deutete mit dem Arm weit ringsum und erwiderte: »Alles ist Gott.«
    Indessen mochte ein solches Diktum pantheistischer Philosophie für die Auffassungsgabe des Jünglings ein wenig zu verwickelt sein. Er schüttelte ungläubig den Kopf, dann sagte er mit dem Ausdruck dumpf-abgöttischer Verehrung: »Caspar liebt die Sonne.«
    Auf dem Heimweg war er ganz stumm; auch die übrigen, selbst die immer wohlgelaunte Anna, waren in einer wunderlich gedrückten Stimmung, als wären sie nie zuvor durch einen spätsommerlichen Abend gewandert, oder als fühlten sie den Auftritt voraus, der ihnen das Beisammensein dieser Stunden unvergeßlich machen sollte.
    Kurz vor dem Stadttor nämlich blieb Anna stehen und deutete mit einem Zuruf an alle in das herrlich gestirnte Firmament. Auch Caspar blickte hinauf, er erstaunte maßlos. Kleine, jähe, wirre Laute eines leidenschaftlichen Entzückens kamen aus seinem Mund. »Sterne, Sterne,« stammelte er, das gehörte Wort von Annas Lippen raubend. Er preßte die Hände gegen die Brust, und ein unbeschreiblich seliges Lächeln verschönte seine Züge. Er konnte sich nicht sattsehen; immer wieder kehrte er zum Anschauen des Glanzes zurück, und aus seinen seufzerartig abgebrochenen Worten war vernehmbar, daß er die Sterngruppen und die ausgezeichnet hellen Sterne bemerkte. Er fragte mit einem Ton des Außersichseins, wer die vielen schönen Lichter da hinaufbringe, anzünde und wieder verlösche.
    Daumer antwortete ihm, daß sie beständig leuchteten, jedoch nicht immer gesehen würden; da fragte er, wer sie zuerst hinaufgesetzt, daß sie immerfort brennten.
    Plötzlich fiel er in tiefe Grübelei. Er blieb eine Weile mit gesenktem Kopf stehen und sah und hörte nichts. Als er wieder zu sich kam, hatte sich seine Freude in Schwermut verwandelt, er ließ sich auf den Rasen nieder und brach in langes, nicht zu stillendes Weinen aus.
    Es war weit über neun Uhr, als sie endlich nach Haus gelangten. Während Caspar mit den Frauen hinaufging, nahm Herr von Tucher am Gartentor von Daumer Abschied. »Was mag in ihm vorgegangen sein?« meinte er. Und da Daumer schwieg, fuhr er sinnend fort: »Vielleicht spürt er schon die Unwiederbringlichkeit der Jahre; vielleicht zeigt ihm die Vergangenheit schon ihre wahre Gestalt.«
    »Ohne Zweifel war es ihm ein Schmerz, das beglänzte Gewölbe zu schauen,« antwortete Daumer; »nie zuvor hat er den Blick zum nächtlichen Himmel erheben können. Ihm zeigt die Natur kein freundliches

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