Cassia & Ky – Die Flucht
eigenen Namen.«
Später erzählte er, er wolle das auch den anderen Kindern beibringen.
»Warum?«, fragte ich. Ich war fünf. Ich wollte nicht, dass er die anderen unterrichtete.
Er wusste, was ich dachte. »Nicht die Tatsache,
dass
du schreiben kannst, macht dich interessant«, sagte er. »Sondern das,
was
du schreibst.«
»Aber wenn alle schreiben können, bin ich nichts Besonderes mehr«, wandte ich ein.
»Das ist nicht das Einzige, was zählt«, erwiderte er.
»Du willst auch etwas Besonderes sein«, sagte ich. Das war mir schon damals klar. »Du willst der Steuermann sein.«
»Ja, ich will der Steuermann sein, um den Leuten zu helfen«, sagte er.
Damals nickte ich. Ich glaubte ihm. Vielleicht glaubte er selbst daran.
Eine weitere Erinnerung: Ich trug eine Nachricht auf einem Zettel für meinen Vater aus, von Haus zu Haus, damit alle sie lesen konnten. Auf dem Zettel standen Zeit und Ort des nächsten Treffens, und mein Vater verbrannte ihn, sobald ich nach Hause kam.
»Worum geht es bei dem Treffen?«, fragte ich meinen Vater.
»Die Farmer haben sich schon wieder geweigert, sich der Erhebung anzuschließen«, antwortete er.
»Was willst du unternehmen?«, fragte meine Mutter.
Er mochte die Farmer sehr. Sie, nicht die Erhebung, hatten ihn das Schreiben gelehrt. Aber die Leute von der Erhebung hatten sich damals an ihn gewandt, bevor wir deklassifiziert wurden. Sie wollten kämpfen, und er liebte den Kampf. »Ich stehe loyal zur Erhebung«, sagte er, »werde aber weiterhin mit den Farmern Handel treiben.«
Indie beugt sich nach vorn und versucht, meinen Blick auf sich zu ziehen. Sie lächelt mich vorsichtig an und hält ihre Hand auf ihren Rucksack gelegt, als hätte sie gerade etwas hineingesteckt. Was hat sie gefunden?
Ich blicke sie an, bis sie sich abwendet. Was immer es ist: Sie zeigt es auch Cassia nicht. Ich werde es später herausfinden müssen.
Einige Monate vor dem letzten Angriff brachte mein Vater mir das Verdrahten bei. Das war seine Aufgabe – die Elektrik in allem zu reparieren, was im Dorf kaputtging. Bei uns ging oft etwas kaputt, und wir waren daran gewöhnt. Unsere gesamte Ausrüstung war gebraucht, Abfall der Gesellschaft, genau wie wir. Besonders die Nahrungserwärmer fielen ständig aus. Uns kamen sogar Gerüchte zu Ohren, dass die Mahlzeiten, die die Gesellschaft uns brachte, Massenware mit standardisierten Vitaminen sei; im Gegensatz zu den individuell zusammengestellten Menüs in den anderen Provinzen.
»Wenn du meine Aufgaben hier übernehmen kannst«, sagte er, »etwa die Nahrungserwärmer und die Heizungen in den Häusern zu reparieren, kann ich weiterhin in die Canyons wandern. Niemand wird der Gesellschaft verraten, dass du meine Arbeit ausführst.«
Ich nickte.
»Nicht jeder hat geschickte Hände«, fuhr mein Vater fort und lehnte sich zurück. »Aber du hast sie. Das hast du von deiner Mutter und mir geerbt.«
Ich sah hinüber zu meiner malenden Mutter, und dann betrachtete ich die Drähte, die ich in den Händen hielt.
»Ich hatte schon immer ein festes Ziel«, sagte mein Vater. »Ich wusste genau, wie schlecht meine Noten sein mussten, damit man mich als Mechaniker einteilte.«
»Das war riskant«, sagte ich.
»Stimmt«, bestätigte er, »aber irgendwie komme ich immer dahin, wo ich hin will.« Er lächelte mir zu und ließ glücklich den Blick über seine Umgebung schweifen, die Äußeren Provinzen, die er liebte und wo er hingehörte. Dann wurde er ernst. »So. Dann wollen wir mal sehen, ob du es mir nachmachen kannst.«
Ich arrangierte die Drähte, die Plastiklaschen und den Timer so, wie er es mir gezeigt hatte, mit einer kleinen Änderung.
»Gut!«, lobte mich mein Vater erfreut. »Du hast auch die richtige Intuition. Die Gesellschaft behauptet, dass so etwas nicht existiert, aber das stimmt nicht.«
Das nächste Buch, das ich zur Hand nehme, ist schwer und trägt die eingravierte Aufschrift HAUPTBUCH . Vorsichtig blättere ich die Seiten um, von hinten nach vorn, und arbeite mich bis zum Anfang vor.
Obwohl ich damit gerechnet habe, schmerzt es, von seinen Tauschhändeln zu lesen. Ich erkenne sie anhand seiner Unterschrift und der erwähnten Daten. Er gehörte zu den Letzten, die noch mit den Farmern Handel trieben, auch wenn das Leben in den Äußeren Provinzen immer gefährlicher wurde. Er hätte es als Schwäche betrachtet, damit aufzuhören.
Wie es in den Broschüren heißt, gibt es immer einen Steuermann, und andere werden
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