Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Cassia & Ky – Die Flucht

Cassia & Ky – Die Flucht

Titel: Cassia & Ky – Die Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ally Condie
Vom Netzwerk:
darauf vorbereitet, seinen Platz einzunehmen, falls er gestürzt werden sollte. Mein Vater war nie der Steuermann, aber er gehörte zu denen, die es hätten werden können.
    »Tu, was die Gesellschaft dir sagt!«, riet ich ihm, als ich älter wurde und erkannte, welche Risiken er einging. »Dann geraten wir auch nicht in Schwierigkeiten.«
    Doch er konnte nicht anders. Er war klug und mutig, aber er war ein Mann der Tat, ohne Feingefühl, und wusste nie, wann er aufhören musste. Schon als Kind war mir das klar. Es reichte ihm nicht, in die Berge zu gehen und mit den Farmern Handel zu treiben – er musste auch noch die Schrift mitbringen. Es reichte ihm nicht, mich zu unterrichten – er musste alle Kinder und deren Eltern unterrichten. Es reichte ihm nicht, von der Erhebung zu wissen – er musste sie vorantreiben.
    Es war seine Schuld, dass unsere Leute starben. Er hat es übertrieben und ist zu große Risiken eingegangen. Die Dorfbewohner hätten sich nicht versammelt, wenn er nicht gewesen wäre.
    Und wer hat nach dem letzten Angriff die Überlebenden aufgelesen? Die Gesellschaft, nicht die Erhebung. Ich habe mit angesehen, wie sie ihre Leute fallenlassen, wenn sie ihnen nicht mehr nützlich sind. Ich habe Angst vor der Erhebung. Mehr noch: Ich habe Angst davor, welche Rolle ich in der Erhebung spielen würde.
    Ich gehe hinüber zu der Stelle, an der Indie gestanden hat, als sie etwas in den Rucksack gesteckt hat. Auf dem Tisch vor mir steht eine wasserdichte Kiste voller Karten.
    Ich werfe Indie einen Blick zu, die inzwischen weitergegangen ist. Sie blättert in einem Buch, und ihr gesenkter Kopf erinnert mich an den hängenden Kelch einer Yucca-Blüte.
    »Uns läuft die Zeit davon«, gebe ich zu bedenken und hebe die Kiste vom Tisch. »Ich suche jetzt für jeden eine Karte heraus, falls wir getrennt werden sollten.«
    Cassia nickt. Sie hat etwas anderes Interessantes gefunden. Ich kann nicht erkennen, was es ist, aber sie strahlt vor Freude, und ihr ganzer Körper ist angespannt vor Begeisterung. Schon die Vorstellung von der Erhebung belebt sie. Das ist es, was sie will. Vielleicht war es sogar das, wohin ihr Großvater sie steuern wollte.
    Ich weiß, dass du meinetwegen in die Berge gegangen bist, Cassia. Aber die Erhebung ist das einzige Ziel, von dem ich nicht weiß, ob ich dir dorthin folgen kann.

Kapitel 36 CASSIA

    Ky breitet ein Dokument auf dem Tisch aus und greift nach einem kleinen Holzkohlestift. »Ich habe noch eine Karte gefunden, die wir benutzen können«, sagt er zu mir und beginnt, verschiedene Punkte auf der Karte einzuzeichnen. »Ich muss sie aber aktualisieren. Sie ist schon ein bisschen veraltet.«
    Ich nehme ein neues Buch zur Hand und blättere darin herum, auf der Suche nach irgendetwas, was uns helfen könnte, doch stattdessen fallen mir plötzlich Verse zu einem Gedicht ein. Einem
über
Ky, nicht
für
ihn, und dabei imitiere ich unwillkürlich den Stil des unbekannten Autors:
    Ich schuf eine Karte für jeden Tod
    Für alles Ach und Weh
    Meine Welt war düster nur und rot
    Und nirgendwo mehr Schnee.
    Ich blicke zu Ky hinüber. Beim Abändern der Karte bewegen sich seine Hände genauso schnell und geschickt wie beim Schreiben und genauso sicher, wie sie über meinen Körper wandern.
    Er blickt nicht auf, dabei wünsche ich es mir so sehr. Ich will ihn. Ich will wissen, was er denkt und wie er empfindet. Wie schafft er es nur, so schweigend dazusitzen, so reglos, und dabei mit einem solchen Weitblick vorauszuschauen?
    Wie schafft er es, mich so sehr anzuziehen und zugleich auszugrenzen?
     
    »Ich muss hier raus«, sage ich kurz darauf und stöhne kurz auf vor Frustration. Wir haben nichts Konkretes gefunden – nur seitenweise Geschichtliches und Propaganda für die Erhebung, die Gesellschaft und die Farmer selbst. Zu Beginn fand ich das alles faszinierend, aber inzwischen macht es mich eher nervös, weil mir bewusst ist, dass der Fluss unten im Tal immer weiter ansteigt. Mein Rücken und mein Kopf schmerzen, und in der Brust spüre ich ein Flattern, die ersten Anzeichen einer Panik. Verliere ich meine Fähigkeit zum Sortieren? Erst die falsche Entscheidung mit den blauen Tabletten, jetzt das. »Ist das Gewitter weitergezogen?«
    »Ja, ich glaube schon«, antwortet Ky. »Lass uns nachsehen.«
    In der Höhle voller Nahrungsmittel hat sich Eli zum Schlafen zusammengerollt, umgeben von Rucksäcken voller Äpfel.
    Ky und ich gehen hinaus. Es gießt in Strömen, aber Blitz und Donner

Weitere Kostenlose Bücher