Casteel-Saga 03 - Gebrochene Schwingen
kalter Tag. Die Temperaturen waren in der Nacht zuvor drastisch gefallen, es war, wie Granny gerne sagte, »zu kalt, sogar für den Schnee«. Loretta trug einen langen Silberfuchsmantel, ein Geburtstagsgeschenk von Logan. Sie rauschte ins Zimmer herein und wirkte hektisch und aufgeregt, so als wäre sie den ganzen Weg von ihrem Haus zum Hasbrouck-Haus gerannt.
»Oh, es ist so kalt«, sagte sie. »Wie geht es dir, meine Liebe? Wie hältst du dich nur aufrecht?« Sie ließ sich in den großen Sessel vor dem Schreibtisch fallen, um wieder zu Atem zu kommen, und drückte ihre Hand gegen ihren Hals, wie jemand, der den Puls fühlt.
»Mir geht es gut«, sagte ich. »Mrs. Avery wird uns gleich etwas Tee bringen.«
»Wie aufmerksam. Du bist so aufmerksam und klug. Das war eins der ersten Dinge, die ich Logan gesagt habe, als er mir erzählte, wie gern er dich hatte. Es ist sehr klug von ihr, sagte ich, daß sie sich so schnell so hochgezogen hat.«
»Danke, Mutter Stonewall.«
»Oh, bitte nenne mich Mutter. Mutter Stonewall hört sich an, als sei ich eine Urgroßmutter«, fügte sie hinzu und ließ ein kurzes, dünnes Lachen hören.
Normalerweise hätte ich darüber auch gelacht, aber es erinnerte mich an Jillian, als sie mich bei unserem ersten Treffen bat, sie nicht Großmutter zu nennen, weil sie es so gut fertiggebracht hatte, ihr wahres Alter vor ihren Freunden zu verbergen. Würde ich auch so eitel sein, wenn ich dieses Alter erreicht haben würde? Ich hoffte nicht. Eitelkeit war eine schwere Last, die einen an eine Welt kettete, die auf Falschheiten aufgebaut war, wo die Menschen nur Lügen austauschten.
Ich lehnte mich zurück, ohne zu antworten.
»Die Sache beginnt also morgen?« fragte sie.
»Ja. Ich war gerade dabei, mich darauf vorzubereiten.«
»O Liebes, Liebes, was für eine schreckliche Situation für dich und Logan. Gibt es keinen Weg, es zu verhindern?« fragte sie und lehnte sich nach vorn.
»Nur wenn Fanny Drake zurückbringen und alle Ansprüche auf ihn aufgeben würde«, sagte ich. »Aber wenn sie es bis jetzt noch nicht getan hat, dann kannst du sicher sein, daß sie bereit ist weiterzumachen. Sie denkt, sie hat weniger zu verlieren als ich, und das ist ihre Art, sich zu rächen. Es gibt nichts anderes, was ich tun kann.«
Loretta wartete, bis Mrs. Avery uns den Tee serviert hatte, bevor sie fortfuhr.
»Es spricht hier überhaupt niemand mehr über etwas anderes«, sagte sie, sobald Mrs. Avery gegangen war.
»Ich weiß.«
»Heaven«, sagte sie nach einer langen Pause. »Logan hat mir alles erzählt. Er bereitet mich darauf vor, seit es auf ein Gerichtsverfahren hinauslief. Ich weiß, was er getan hat, war falsch, schrecklich falsch. Und ich finde es wundervoll von dir, daß du ihm vergeben hast. Aber es jetzt in die Öffentlichkeit hinauszulassen, vor allem in seine Öffentlichkeit, wäre ein schrecklicher Fehler. Winnerow ist schon fast fanatisch religiös. Es wird danach für euch beide sehr schwer werden, egal wie erfolgreich die Fabrik ist. Die Leute werden tuscheln und reden und – «
»Das ist mir egal«, sagte ich schnell. »Drake ist mir wichtiger, als mich über das Gerede von irgendwelchen religiösen Heuchlern zu beunruhigen.«
»Aber meine Liebe, du hast ein eigenes Kind, an das du denken mußt. Er oder sie wird hier zur Schule gehen und in die Gemeinschaft der anderen Kinder eingegliedert werden, deren Eltern ihnen die Geschichten erzählen. Es wird so schwer werden.«
»Was schlägst du vor, Mutter?« fragte ich, ermüdet von dem weinerlichen Ton in ihrer Stimme.
»Kannst du nicht einen Weg finden, um das diskret aus der Welt zu schaffen? Was ist, wenn du Fanny erlaubst, daß sie den Jungen die eine Hälfte des Jahres hat und du hast ihn die verbleibende Hälfte?« fragte sie und lächelte, als ob sie gerade eine wundervolle Lösung gefunden hätte.
»Zum einen würde sie einer solchen Übereinkunft nie zustimmen. Sie hat es darauf abgesehen, mir weh zu tun, und das ist nur ihr Mittel dazu. Das habe ich dir schon gesagt… Sie war schon immer eifersüchtig auf mich. Zum anderen könnte ich nicht mit dem Wissen leben, daß Drake sechs Monate in jedem Jahr ihrem Einfluß ausgesetzt ist. Ich würde die restlichen sechs Monate brauchen, um die Schäden wieder gutzumachen. Sie hat ihn bereits gegen mich aufgehetzt.«
»Aber Logan sagt, daß es sie irgendwann langweilen wird, auf ihn aufzupassen, besonders, weil sie auch ein eigenes Kind erwartet. Und es gibt keine
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