Casteel-Saga 03 - Gebrochene Schwingen
Interesse ist.«
»Sehr gut, Mr. Lakewood«, sagte der Richter mechanisch, »bitte rufen Sie Ihren ersten Zeugen auf.«
»Wir rufen Mr. Peter Meeks auf, Direktor der Schule in Winnerow.«
Wie dressierte Seehunde drehten sich alle Köpfe nach Mr. Meeks um, der sich schnell erhob und zum Zeugenstand ging, wo er seinen Eid ablegte. In seinem Arm trug er eine Akte. Camden Lakewood lehnte sich mit einem Ellbogen auf den Zeugenstand, als Mr. Meeks Platz nahm.
»Bitte nennen Sie Ihren Namen und Ihre Stellung für das Protokoll.«
»Mein Name ist Peter Meeks. Ich bin der Direktor der Winnerow-Schule.«
»Und wie lange sind Sie schon in dieser Position, Mr. Meeks?«
»Beinahe achtundzwanzig Jahre«, sagte er mit offensichtlichem Stolz.
»Also waren Sie Leiter der Winnerow-Schule, als Fanny und Heaven Casteel dort Schülerinnen waren?«
»Das war ich.«
»Ich möchte Sie bitten, Mr. Meeks, Ihr Gedächtnis auf diese Jahre zu richten und dem Gericht eine Bewertung dieser beiden Schulmädchen zu geben.«
»Nun«, begann Mr. Meeks und setzte sich etwas bequemer hin, »ich erinnere mich sehr genau an die beiden, weil sie aus einer der ärmsten Bergfamilien stammten… und, unglücklicherweise«, sagte er und senkte die Stimme, als wollte er dem Gericht ein Geheimnis anvertrauen, »haben wir mit diesen Familien und ihren Kindern meistens Probleme mit der Disziplin. Sie kommen zur Schule, unterernährt, ärmlich gekleidet und sind nicht sehr motiviert, wenn es ans Lernen geht.«
»Kommen Sie bitte zum Thema, Mr. Lakewood«, sagte der Richter.
»Ja, Euer Ehren. Mr. Meeks, wie würden Sie Fanny Casteel charakterisieren in bezug auf diese Art Schüler und Schülerinnen, die Sie gerade beschrieben haben?«
»Oh, als typisch. Ein ständiges Disziplinproblem und schlechte Noten.«
»Was meinen Sie mit ›typisch‹, waren die Probleme mit ihr wirklich so typisch?« fragte Lakewood schnell.
»Nun, eigentlich nicht. Sie war, was man eine sehr freie junge Dame nennt.«
»Fahren Sie bitte fort.«
»Sie bekam… oft Verweise, weil sie sich unziemlich verhielt; wenn man bedenkt, daß sie erst zwölf oder dreizehn Jahre alt war…«
»Mr. Meeks, würden Sie dem Gericht ein Beispiel geben!«
»Euer Ehren«, sagte Wendell Burton und erhob sich. »Ein Einspruch zu dieser Art der Fragestellung. Wie Mrs. Wilcox als junges Mädchen war, hat keinen Einfluß auf diese Anhörung. Fast alle der hier im Gerichtssaal Anwesenden haben einmal über die Stränge geschlagen, als sie noch jünger waren. Aber wir werden einmal erwachsen. Wir ändern uns und werden reifer. Heute wollen wir uns ein Urteil über die reife Mrs. Wilcox und die reife Mrs. Stonewall bilden.«
»Mr. Lakewood?«
»Euer Ehren, unserer Ansicht nach ist Fanny Wilcox nicht erwachsen geworden, sie weist tatsächlich eine ungebrochen durchgehende Geschichte von Promiskuität auf.«
»Ich werde den Zeugen fortfahren lassen«, sagte der Richter, »aber ich mache Sie darauf aufmerksam, Mr. Lakewood, daß ich dafür sorgen werde, daß hier eine wirkliche Geschichte entwickelt und nicht mit Unterstellungen gearbeitet wird.«
»Ich verstehe, Euer Ehren. Mr. Meeks, ein Beispiel?«
»Nun…« Er öffnete seinen Ordner. »An einem Tag im März, während ihres zweiten Jahres auf der Oberschule, wurde Fanny Casteel im Umkleideraum der Knaben mit zwei jungen Männern entdeckt. Sie war nur halb bekleidet. Sie bekam einen Verweis und wurde früher nach Hause geschickt. Bei einer anderen Gelegenheit, am Ende desselben Monats, wurde sie mit einem älteren männlichen Studenten in dem Raum unter der Bühne gefunden. Der Lehrer, der sie ertappt hatte, schrieb in seinen Bericht, daß sie sich auf unanständige Weise umarmten. Wieder wurde sie heimgeschickt.«
»Wie alt war sie zu der Zeit?«
»Dreizehn.«
»Ich verstehe. Haben Sie noch andere Beispiele?«
»Mindestens ein halbes Dutzend.«
»Euer Ehren, ich möchte nicht weitschweifig werden und die Zeit des Gerichts damit verschwenden, weitere Beispiele anzuhören. Aber ich möchte, daß Fanny Casteels Schulbericht als Beweismaterial eingeht, das bei der Entscheidung berücksichtigt wird.«
»Es ist eingegangen.«
»Ich habe keine weiteren Fragen an Mr. Meeks.«
»Mr. Burton?« sagte der Richter. Wendell Burton lächelte. Er hatte ein schleimiges Gesicht mit großen blauen Augen und lebhaften Lippen. Direkt über seiner rechten Augenbraue hatte er ein Muttermal. Sein Haar war auf der Seite gescheitelt und zurückgekämmt. Er war
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