Castello Christo
Stille, dann sagte Varotto verächtlich: »Schön doziert, aber wir sind keine Erstsemestler in einem Hörsaal der Gregorianischen Universität, sondern ermitteln in einer Mordserie. Wenn Sie dies berücksichtigen wollen.«
»Das werde ich gerne tun, Commissario«, gab Matthias ungerührt zurück, »wenn
Sie
bitte berücksichtigen wollen, dass ich kein allwissender Computer bin, der Ihnen beim Drücken der Enter-Taste die gewünschten Informationen und daraus resultierenden Schlussfolgerungen liefert. Ich bin lediglich Ihrer Aufforderung nachgekommen, Ihnen zu erzählen, was mir zu den Symbolen der Tätowierung einfällt. Der Fisch ist ein Teil davon. Mehr nicht. Ich denke, wir sollten unsere Zusammenarbeit mit realistischen Erwartungen und unter fairen Bedingungen angehen. Ich für meinen Teil bin gerne dazu bereit.« Damit streckte er Varotto die Hand hin und sah ihm in die Augen.
Varotto war zu verblüfft, um reagieren zu können. Wie angewurzelt stand er mitten im Raum und starrte auf die hingehaltene Hand. Endlich gab er sich einen Ruck. Fest war ihr Händedruck, und Varotto wurde dabei von einem Gefühl durchströmt, das er nicht recht deuten konnte.
»Sie haben recht«, sagte er beschämt. »Entschuldigen Sie bitte.«
»Nun, ich schlage vor, Sie machen sich an die Arbeit, meine Herren«, mischte sich Barberi ein und stand auf. »Ich werde . . .«
In diesem Moment klopfte es kurz, und ein junger uniformierter Polizist stürmte herein. Er reichte Varotto ein gefaltetes Blatt Papier.
»Commissario, das ist gerade für Sie abgegeben worden. Vice Commissario Brunetti . . .«
»Was fällt Ihnen ein, hier einfach so hereinzuplatzen?«, herrschte Barberi den Mann an.
»Entschuldigen Sie bitte«, entgegnete der Polizist nervös. Auf seiner Stirn hatten sich kleine Schweißperlen gebildet, und man sah ihm deutlich an, dass er sich alles andere als wohl in seiner Haut fühlte. »Aber der Text auf dem Blatt ... Der Vice Commissario meinte, Commissario Varotto sollte das schnellstens bekommen.«
Varotto hatte die Nachricht schon überflogen und las sie nun laut vor: »Selig die Barmherzigen, denn sie werden Erbarmen finden. Selig, die ein reines Herz haben, denn sie werden Gott schauen.«
Matthias atmete hörbar aus. »Denn sie werden Gott schauen: Diese Stelle stammt aus dem Matthäusevangelium. Sie wird gerne in Bezug auf die sechste Station des Kreuzweges zitiert: Veronika reicht Jesus das Schweißtuch.«
»Jetzt schicken diese Irren mir schon eine persönliche Benachrichtigung! Wo ist der Kerl, der das abgegeben hat?«, herrschte Varotto den Polizisten an.
Der junge Uniformierte nestelte nervös an den Nähten seiner Uniformhose.
»Er ist ... weg«, stotterte er. »Wir konnten doch nicht ahnen . . .«
»Wie?« Varottos Gesicht lief rot an. »Sie lassen sich die erste und einzige Chance, einen Hinweis auf diese Verrückten zu bekommen, entgehen? Sind Sie von allen guten Geistern verlassen? Und wieso drücken Sie mir dieses Beweisstückeinfach so in die Hand? Schon mal was von Fingerabdrücken gehört?«
»Es ist gut, Sie können gehen«, mischte sich nun Barberi ein. Erleichtert nickte der junge Mann ihm zu und war mit wenigen Schritten aus dem Büro verschwunden.
»Setz dich, Daniele«, forderte Barberi Varotto nun mit ruhiger Stimme auf. »Passiert ist passiert, auch wenn du hier wie ein Berserker wütest. Darf ich die Nachricht bitte sehen?«
Unverständliche Worte grummelnd legte Varotto das Blatt mit spitzen Fingern vor seinem Vorgesetzten auf den Tisch und ließ sich auf seinen Stuhl sinken. Barberi überflog die Zeilen, dann wandte er sich an Matthias.
»Fällt Ihnen noch etwas dazu ein, Signore Matthias?«
Der schüttelte ratlos den Kopf. »Nein. Es bestätigt nur einmal mehr, dass hinter den Taten eine geheime Organisation stecken muss, die ein bestimmtes Ziel verfolgt. Ein Ziel, das diesen enormen Aufwand über die Jahre hinweg rechtfertigt . . .«
Es trat ein bedrücktes Schweigen ein. Francesco Tissone begann wieder sein Spiel mit dem Kugelschreiber. Nach dem fünften
Klick
schlug Varotto mit der Hand auf die Tischplatte.
»Was ist mit der Frau, der Mutter dieses Stefano Costali? Ist sie mittlerweile vernehmungsfähig?«
Tissone hob die Schultern. »Ich kann’s mir kaum vorstellen. Aber ich ruf gleich mal in der Klinik an und . . .«
»Lass es, ich fahre hin«, unterbrach ihn Varotto, und nach einem kurzen Blick zu seinem Vorgesetzten wandte er sich an Matthias. »Kommen Sie
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