Castello Christo
wissen.
»Dazu wollte ich gerade kommen, Chef«, sagte Tissone. »Ja, das hat man, allerdings muss man ihm wohl vorher noch diese Substanz gespritzt haben. Hätte man ihm zuerst das Gift verabreicht, hätte sein Herz das Zeug nicht mehr im ganzen Körper verteilen können. Ich möchte mir nicht vorstellen, wie qualvoll der Mann gestorben ist.«
»Er ist also lebend und noch vor dem völligen ›Aushärten‹ in die gewünschte Position gebracht worden . . .«, murmelte Varotto nachdenklich.
Einen Moment herrschte Stille. Den Männern lief bei dem Gedanken ein Schauer über den Rücken.
»Gänzlich bizarr wurde die Mordserie«, fuhr Tissone schließlich fort, »als Signora Costali gestern dann behauptete,dass das Mordopfer der vierten Kreuzwegstation ihr Sohn sei, der 1989 im Alter von acht Jahren entführt wurde. Das Ergebnis der DN A-Analyse liegt uns mittlerweile vor und hat bestätigt, dass es sich bei dem Toten tatsächlich um Stefano Costali handelt.« Tissone warf Varotto einen kurzen Blick zu und nahm dann ein Blatt von dem Papierstapel neben sich. »Im Durchschnitt werden in Italien pro Jahr etwa dreißigtausend Kinder als vermisst gemeldet. Viele laufen weg, weil sie etwas angestellt haben. Oder sie trauen sich wegen schlechter Schulnoten nicht nach Hause. Die meisten davon tauchen nach kurzer Zeit zum Glück wieder auf. Die Zahl derer, die man gar nicht oder erst sehr viel später findet, liegt bei etwa sechs- bis siebenhundert pro Jahr. Bei einem Teil davon stellt sich heraus, dass sie einem Verbrechen zum Opfer gefallen sind. Jedes Jahr bleiben aber auch einige Fälle ungeklärt. Wir haben in unseren Datenbanken und Archiven nachgeforscht, wie viele der 1989 verschwundenen Kinder bis heute nicht wiederaufgetaucht sind und damals etwa sechs bis acht Jahre alt waren. Es waren 71.« Tissone sah von dem Dokument auf. »44 davon waren Mädchen, und sieben Jungen waren dunkelhäutig. Das heißt, es bleiben zwanzig entführte Jungen im entsprechenden Alter. Ich habe hier eine Liste mit den Namen und Adressen der Eltern.« Er griff wieder zum Stapel und reichte Barberi mehrere Bogen Papier. »Wir werden versuchen, die übrigen Opfer mittels DN A-Analyse zu identifizieren.«
»Warum haben Sie nur die Jungen herausgefiltert, die zum Zeitpunkt der Entführung zwischen sechs und acht Jahre alt waren?«, ergriff Matthias zum ersten Mal das Wort.
»Weil die getöteten Männer laut Obduktionsbericht alle etwa gleich alt sind«, erklärte Tissone.
Matthias nickte. »Und gibt es unter den zwanzig entführten Kindern welche, die nicht katholisch waren?«
Tissone sah ihn überrascht an. »Ich ... das weiß ich nicht. Darauf haben wir nicht geachtet.«
»Das sollten Sie aber, denn ich glaube, dass die Täter ausschließlich Katholiken für die Rolle Jesu ausgewählt haben.«
»Das ist ja alles schön und gut, aber was ist mit der Tätowierung?«, mischte sich Varotto nun ein, der aufgestanden war und begonnen hatte, im Raum auf und ab zu gehen. »Da kann
Bruder
Matthias uns dummen Polizisten doch sicher auch weiterhelfen.«
Er warf dem Deutschen einen herausfordernden Blick zu.
»Ein Symbol in der Art, wie Sie es bei diesen Männern gefunden haben, ist mir bei meinen Studien bisher noch nicht untergekommen«, erklärte der nach kurzem Zögern.
Varotto blieb stehen und schüttelte abschätzig den Kopf. »Sie als Experte können uns nichts dazu sagen? Rein gar nichts?«
Matthias sah ihn einige Sekunden mit einem undefinierbaren Blick an, bevor er schließlich erklärte: »Natürlich kann ich Ihnen etwas zu dem Fisch erzählen, der seinen festen Platz in der christlichen Ikonographie hat. Das griechische Wort für Fisch,
Ich ThyS,
enthält für die Christen eine Art Glaubensbekenntnis:
Iesoûs Christós Theoú Hyiós Sÿtér:
Jesus der Gesalbte, Gottes Sohn und Erlöser. Man hört immer wieder, dass dieses Bildmotiv bereits von den Urchristen als christliches Erkennungszeichen verwendet worden sein soll, was jedoch historisch nicht belegt ist. Eine weitere Verbindung zum christlichen Glauben findet sich durch sein Element, das Wasser, in der Taufe und der Neugeburt. Auf Taufsteinen, aber auch auf Sarkophagenbegegnet man oft dem großen Fisch, in dem Jona drei Tage und drei Nächte verbrachte, bevor er wieder ausgespien wurde und dann in Ninive seine Umkehrpredigt hielt: Jonas Verschlingung und Rettung ist für die Christenheit ein Symbol für den Tod und die Auferstehung Christi.«
Einen Moment herrschte
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