Castello Christo
verschließen Sie lieber die Augen davor, dass Ihr Gott diese beiden Menschen in der größten Not im Stich gelassen hat?«
Die Spurensicherer drehten sich neugierig zu ihnen um, doch als der Deutsche mit den schulterlangen blonden Haaren sie warnend ansah, wandten sie sich schnell wieder ihrer Arbeit zu.
»Ich denke, dass das nicht der Ort für eine Diskussion über Gott ist«, erwiderte Matthias, und seine Stimme klang dabei keineswegs verärgert. »Irgendwann können wir das Thema aber gerne wiederaufgreifen.«
Stumm maßen sie einander mit Blicken, der schwer atmende Commissario, der sich nur mühsam unter Kontrolle zu halten schien, und der Mann aus dem Kloster in Sizilien, der eine seltsame Ruhe ausstrahlte.
»Ich wüsste keinen besseren Ort als ein dunkles Kellerloch, um über Gott zu diskutieren«, beendete Varotto das Schweigen. »Aber lassen wir das. Ich habe noch einiges hier zu tun.«
Matthias nickte. »Ich werde solange einen Spaziergang über das Forum Romanum machen«, erklärte er, und als Varotto keine Antwort gab, drehte er sich um und stieg die enge Wendeltreppe hinauf, froh, das Gewölbe verlassen zu können.
Als Matthias wenig später unter dem reich verzierten Bogen des Septimus Severus stand, tauchte schlagartig die Erinnerung an die Tage auf, die sein Leben so sehr verändert hatten.
An dieser Stelle hatte er vier Jahre zuvor schon einmal gestanden. Damals war er kreuz und quer durch Rom gelaufen, um sich die Zeit bis zu dem alles entscheidenden Tag zu vertreiben. Dem Tag, an dem er seine Stellung auf dem Dach der Kollonaden bezogen hatte. Dem Tag, an dem er ...
»Entschuldigung, sprechen Sie Deutsch?«
Der Mann, der mit einem gefalteten Stadtplan in den Händen vor ihm stand, lächelte ihn erwartungsvoll an. Matthias starrte ihn nur verwirrt an, so dass der Mann nochmals fragte: »Deutsch? Sprechen Sie Deutsch?«
Da erst schüttelte Matthias den Kopf. Nein, nicht mehr, nie mehr, dachte er, ließ den Mann stehen und ging unter dem Bogen durch in Richtung der Rostra, der altrömischen Rednertribünen, und von dort über die mit großen glatten Steinen gepflasterte Via Sacra, wo er wieder die gleiche innere Zerrissenheit zu spüren glaubte, die ihn in jenen schicksalshaften Tagen bestimmt hatte. Es war ein Fehler gewesen zu glauben, die Wunden hätten sich geschlossen. Sie würden sich niemals schließen. Das war der Preis, den er vor Jahren zu zahlen bereit gewesen war. Er kehrte um.
Vatikan. Apostolischer Palast
21
Stumm saßen sie sich im Arbeitszimmer des Papstes gegenüber. Das, was Papst Alexander IX. ihm soeben anvertraut hatte, lastete nun auch wie eine Bürde auf ihm. Er hatte geduldig zugehört, und obwohl er einige Male das Bedürfnis gehabt hatte, eine Zwischenfrage zu stellen, hatte er den Heiligen Vater nicht unterbrochen. Nun sah er dem Papst in die Augen.
»Und Sie halten es für möglich, dass er etwas mit diesen schrecklichen Morden zu tun hat?«
Papst Alexander IX. hob in einer ohnmächtigen Geste die Hände. »Allein die Tatsache, dass ich es als Möglichkeit in Betracht ziehen muss, ist furchtbar.«
»Verzeihen Sie bitte die Frage, Eure Heiligkeit, aber ... haben Sie sonst noch jemandem davon erzählt?«
Der Papst schüttelte den Kopf. »Nein. Es ist lediglich ein Gefühl, für das ich noch keinerlei Anhaltspunkt habe. Nicht auszudenken, wenn meine Befürchtungen den falschen Menschen zu Ohren kämen. Können Sie sich ausmalen, was die Presse daraus machen würde? Und was das nicht nur für mich, sondern auch für mein heiliges Amt bedeuten würde? Und auch für
ihn
, wenn ich nicht irre? Nein, ich habe mit niemandem darüber geredet ... Lediglich Matthias habe ich heute Morgen zurate gezogen.«
Durch den Körper des Kardinals ging ein Ruck, so dass der Papst sofort beschwichtigend beide Hände hob.
»Keine Sorge, ich habe ihm nichts von den Dingen erzählt, die ich Ihnen gerade geschildert habe, und auch nichts von dem Brief, den ich heute früh bekommen habe. Aber Matthias kennt sich in Bezug auf obskure Gemeinschaften wie kaum ein anderer aus, wie ich feststellen durfte. Ich hatte die Hoffnung, er könnte meine schlimmsten Befürchtungen zerstreuen.«
»Und? Konnte er das, Eure Heiligkeit?«
»Nein, das konnte er nicht. Aber dazu weiß er bisher auch zu wenig. Ich sollte mich vielleicht noch einmal mit ihm unterhalten. Er ist ein guter Mensch, das habe ich sofort gespürt, und ich vertraue ihm. Er hat vor vier Jahren schon bewiesen, wie
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