Cathérine de Montsalvy
Sie wollte es nicht mehr! In ihrer Freude über die Verwirklichung ihres Plans, da sie nun wußte, daß La Trémoille bereit war, nach Chinon zu gehen, hatte sie in dieser Nacht gedacht, nichts anderes mehr sei wichtig und das Sterben müsse ihr leichtfallen in dem Bewußtsein, gerächt zu werden … Jetzt aber, angesichts dieses Henkers, der sich zum tragischen Herold ihrer letzten Stunde machte, wies sie ihr Geschick mit aller Kraft zurück. Sie war jung, war schön, sie wollte leben! Sie wollte aus diesem Loch heraus, die Sonne wiedersehen, den weiten blauen Himmel und alle Pflanzen, die Gottes Willen über die Erde ausstreute. Sie wollte ihren Sohn wiedersehen, ihren kleinen Michel, die Berge der Auvergne und jenen grauenerregenden Ort, an dem ihr Liebster langsam dahinsiechte … Arnaud! Sie wollte nicht so weit von ihm entfernt sterben! Seine Hand noch einmal berühren, nur ein einziges Mal … und dann sterben, ja! Aber nicht vorher!
Jäh hob sie den Kopf, den sie gesenkt hatte, um ihn ihre Erregung nicht sehen zu lassen.
»Hör zu!« sagte sie mit drängender Stimme. »Du mußt den Mann finden, der gestern nacht hierhergekommen ist … den, von dem du sagtest, du schuldest ihm viel!«
»Den Diener Monseigneurs des Großkämmerers?«
»Ja, den! … ich kenne seinen Namen nicht, aber du wirst ihn sicherlich mühelos erkennen. Geh und such ihn. Sag ihm, was du mir eben gesagt hast!«
»Und wenn ich ihn nicht finde? Monseigneur hat viele Diener …«
»Du mußt ihn finden! Unbedingt! Da es dich so sehr bekümmert, mir weh zu tun … Ich flehe dich an, such ihn!«
Sie war aufgestanden. Mit ihren zitternden Händen umklammerte sie die riesigen Pranken des Folterknechts; mit ihren tränenfeuchten großen Augen flehte sie ihn an. Er hatte gezeigt, daß er Mitleid mit ihr fühlte. Sie witterte in diesem stumpfen Wesen eine Art Sympathie. Er mußte um jeden Preis Tristan benachrichtigen, sonst würde der Flame in dieser Nacht zweifellos zu spät kommen. Sie wäre schon tot. Hatte der Folterknecht nicht gesagt ›nach dem Abendläuten‹?
Das Abendläuten war in der letzten Nacht, als Tristan gekommen war, schon lange vorbei gewesen.
»Aus Mitleid, Aycelin … wenn du ein wenig Freundschaft für mich empfindest, such ihn!«
Der Folterknecht nickte mit dem großen Kopf, dem die riesigen Ohren das Aussehen eines Kochtopfs gaben. Seine Äuglein blinzelten unter den wimperlosen Lidern.
»Ich will's versuchen … aber es wird nicht leicht sein! Es ist ein großes Hin und Her im Schloß heute. Der König hat beschlossen, morgen nach Chinon abzureisen. Man packt die Reisetruhen, ich werd' tun, was ich kann …«
Mit müden Gliedern ließ Cathérine sich wieder auf ihren Strohhaufen fallen. Die Nachricht, die Aycelin ihr soeben gebracht hatte, war kostbar, denn sie war der deutliche Beweis ihres Sieges. Der König, das bedeutete La Trémoille! Und er würde sich nach Chinon aufmachen, wo ihn die Männer des Konnetabels von Richemont erwarteten, wo Raoul de Gaucourt kommandierte, von den Verschwörern gewonnen. Der alles verheerende Eber, der schon zu lange über die Erde Frankreichs galoppiert war, ging seinem letzten Gehege entgegen. Aber wenn Aycelin Tristan nicht fände, würde Cathérine den Tag ihres Sieges nicht anbrechen sehen …
Lange Stunden verharrte sie auf ihrem Strohlager, ins Leere starrend, die Hände um die Knie geschlungen, ihren Herzschlägen lauschend und mit aller Macht gegen die Verzweiflung ankämpfend. Jenseits der Wand, ganz nah, war Sara, ihre alte Sara, die tröstende Zuflucht grausamer Stunden, und sie konnte nicht zu ihr. Sie hätte rufen müssen, um von ihr gehört zu werden, aber dazu besaß sie nicht mehr die Kraft! … Doch die Angst überfiel sie noch grausamer, als der Tag zu Ende ging. Draußen im Schloßhof herrschte lebhafte Bewegung. Von ihrer Höhle aus konnte sie die Befehle, die Rufe der Diener, die Anweisungen, das ganze fröhliche Gelärm eines bevorstehenden Aufbruchs hören. Da, ganz nahe, waren die Geräusche des Lebens, die die Todgeweihte grausam verhöhnten. Und einen Augenblick fragte sie sich, ob die Toten in ihren Gräbern das Getöse der Lebenden hören könnten …
Das öffnen des Gucklochs in ihrer Tür ließ sie zusammenzucken. Durch das Gitter bemerkte sie das rote Gesicht Aycelins, von einer Kerze angestrahlt. Und die Worte, die er sprach, fielen wie schwere Steine auf ihr Herz:
»Ich hab' den Mann nicht gefunden … Verzeih mir!«
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