Cathérine de Montsalvy
schon?« fragte Cathérine. »Wird es denn schon Tag?«
»Noch nicht. Und es ist auch nicht das Signal zum Wecken. Wartet einen Augenblick auf mich.«
Im Nu hatte Gauthier den Stamm einer Eiche umklammert, war mit affenartiger Geschwindigkeit hinaufgeklettert und den Augen seiner Freunde entschwunden. Die Trompete klang noch immer gedämpft herüber und gab damit das genaue Maß des bereits zurückgelegten Weges an.
»Kommt es vom Lager her oder vom Schloß?« flüsterte Bruder Etienne.
»Im Schloß würde man keine Ursache haben, die Trompete zu blasen … außer bei einem Angriff«, begann Cathérine. Sie kam nicht weiter. Mit äußerster Schnelligkeit herunterkletternd, fiel Gauthier wie eine Kugel zwischen ihr und dem kleinen Mönch zur Erde.
»Es kommt aus dem Lager! Soldaten rotten sich in der Nähe der Umwallung nördlich des Schlosses zusammen. Sie müssen bei diesem verdammten Mondlicht die Spuren gesehen haben. Ich sah Männer in den Sattel steigen.«
»Was sollen wir tun?« jammerte Sara. »Wir können's an Schnelligkeit nicht mit den Pferden aufnehmen, wenn unsere Spuren hinter dem Bach entdeckt werden.«
»Das ist möglich«, gab Gauthier zu. »Durchaus möglich. Wir müssen uns sofort trennen.«
Cathérine wollte Einwände machen, aber er gebot ihr mit so fester Autorität Schweigen, daß sie nicht daran dachte zu protestieren. War es nicht normal, daß er bei diesem Abenteuer der Führer war? Schon fuhr er fort:
»Bei Tagesanbruch müßten wir es ohnehin tun. Ihr müßt Aurillac erreichen, vergeßt das nicht, Dame Cathérine, während ich mich mit MacLaren treffen werde. Ich werde also gehen, allein … Sie werden meiner Spur folgen.«
»Wenn sie nicht der unseren folgen«, bemerkte Sara.
»Nein. Denn ihr werdet alle drei auf diesen Baum klettern und euch dort verborgen halten … bis unsere Verfolger verschwunden sind. Seid ohne Sorge, und überlaßt es nur mir, sie weit genug wegzulocken, so daß ihr euren Weg ungestört fortsetzen könnt.«
Cathérine schien es, als sei die magische Schönheit des Waldes mit einem Schlag erloschen.
Sich jetzt schon von ihrem Freund zu trennen war unerfreulich genug. Mußte sie ihn zudem noch in Gefahr wissen, sich in der Ungewißheit über sein Ergehen das Herz schwer machen? Geteilte Gefahr ist immer leichter.
»Aber«, murmelte sie gequält, »wenn sie dich einholen, wenn sie dich …«
Sie konnte das Wort nicht aussprechen. Zwei Tränen lösten sich aus ihren Augen und rollten ihr die Wangen hinunter. Das Mondlicht ließ sie glitzern. Tiefe Freude breitete sich über das große Gesicht des Riesen.
»Mich töten?« fragte er leise. »Sie werden mir nichts mehr anhaben können, Dame Cathérine. Ihr habt um mich geweint … mir kann nichts mehr passieren. Tut, was ich sagte. Klettert hinauf!«
Er nahm sie um die Taille und setzte sie, offenbar ohne Anstrengung, auf einen Ast. Danach packte er Sara und dann den kleinen Mönch. Wie sie so Seite an Seite auf dem Ast saßen, hatten sie das verstörte Aussehen dreier erstarrter Spatzen. Gauthier begann zu lachen.
»Ihr seht aus wie eine drollige Nestbrut, wie ihr so dasitzt! Der Baum läßt sich leicht erklettern! Steigt so hoch hinauf, wie ihr könnt, und bemüht euch, kein Geräusch zu machen. Wenn ich richtig schätze, werden die Soldaten in einer Stunde unter euch vorbeiziehen. Steigt nicht herunter, bevor ihr euch nicht überzeugt habt, daß sie sich auch wirklich entfernt haben. Mut!«
Starr vor instinktiver Furcht, sahen sie, wie er sorgsam die Spuren verwischte, die ihren Aufenthalt unter der Eiche hätten verraten können, und sodann in der Richtung, der er folgen wollte, einen deutlich erkennbaren Trampelpfad in den Schnee stampfte; dann verschwand er endlich mit einer großen Abschiedsgebärde eiligst zwischen den Bäumen. Jetzt erst blickten die drei Verlassenen sich an.
»Nun«, sagte Bruder Etienne mit Humor, »ich glaube, wir müssen die uns gegebenen Befehle ausführen. Verzeiht, Dame Cathérine, aber ich werde diese Kutte ein wenig schürzen müssen. Zum Klettern ist sie nicht sehr praktisch.«
Gesagt, getan. Der kleine Mönch nahm seine Kutte hoch und stopfte sie unter den seinen Bauch eng umschließenden Strick, hagere, sehnige Beine enthüllend, an deren Ende seine breiten, nackten Füße in ihren Sandalen riesig schienen. Galant half er Sara, die Äste des Baums hinaufzuklettern. Cathérine fand ihre einstige Behendigkeit plötzlich wieder und kletterte ohne Hilfe. Und bald
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