Cathérine de Montsalvy
Brust.
»Geht, Pater, geht schnell! … Und sagt Messire Arnaud, er solle sich keine Sorgen machen …«
Der Mönch entfernte sich seinerseits, während Sara und Bruder Etienne, völlig außer Atem, ihre Freunde einholten. Ihnen folgten die Schotten, ebenfalls im Trab. Ein letztes Aufbäumen riß Cathérine aus der Umklammerung Gauthiers, aber die Tränen machten sie so blind, daß sie nicht mehr als eine graurote, durch den Schnee wankende Reihe bemerkte. Der Normanne hatte keine Mühe, sie wieder an sich zu ziehen.
Die kalte Stimme Ian MacLarens drang vom hohen Pferd des Schotten zu ihnen herunter.
»Reicht sie mir, und dann weiter! Diese Szene hat lange genug gedauert.«
Aber mit einem Schulterzucken hob Gauthier Cathérine empor und setzte sie auf sein eigenes Pferd, das einer der Soldaten am Zügel hielt.
»Ob es Euch paßt oder nicht, und selbst wenn dieses Tier daran krepieren sollte – ich werde mich um Dame Cathérine kümmern! Ihr scheint mir nicht viel von einem Schmerz wie dem ihren zu verstehen. Bei Euch ist sie im Exil.«
MacLaren legte die Hand auf seinen Degenknauf, zog den Degen halb heraus und knurrte:
»Bauernlümmel, ich habe große Lust, dir deine Unverschämtheit heimzuzahlen!«
»An Eurer Stelle, Messire, würde ich's nicht versuchen«, erwiderte der Normanne mit drohendem Lächeln. Gleichzeitig glitt seine Hand wie zufällig zu der Streitaxt in seinem Gürtel. MacLaren ließ es dabei bewenden und wendete sein Pferd.
Von der in einer Windung der Dordogne eingebetteten Herberge, vor der sie für die Nacht anhielten, sah Cathérine nichts. Sie hatte so viel geweint, daß eine Art Unempfindlichkeit über sie gekommen war. Ihre roten, geschwollenen Augen öffneten sich nur mit Schmerzen, und das, was sie sah, war zu verwirrend, um ihre Aufmerksamkeit zu fesseln. Im übrigen interessierte sie nichts mehr. Sie fühlte sich so elend wie noch nie, den schrecklichen Tag mit einbezogen, an dem Arnaud aus der Welt der Lebenden geschieden war. Die für einen Augenblick wieder angefachte Hoffnung, die unvermutete Begegnung waren ihr wie Zeichen des Schicksals erschienen, eine Antwort des Herrn auf ihre unaufhörlichen Fragen. All diese Monate des Leidens waren wie mit einem Schlag ihrem Gedächtnis entschwunden, und die Liebeswunde, die sich vielleicht wieder ein wenig schloß, war von neuem aufgebrochen und blutete mehr als je.
Den ganzen Tag über hatte sie sich, an Gauthiers Brust gekauert wie ein krankes Kind, vom harten Trab des Pferdes durchrütteln lassen, ohne die Augen zu öffnen. Dann hatte man sie über eine wacklige Stiege in die Kammer der Herberge getragen. Kammer? Wohl kaum! Ein Verschlag, in den man einen eisernen Kohlenofen gestellt hatte und in dem ein schmales Holzbett fast den ganzen Raum einnahm. Aber was kümmerte das Cathérine? Sara hatte sie schlafen gelegt, wie sie Michel schlafen gelegt hätte, und sie hatte sich in der Höhlung des Strohsacks wie eine Kugel zusammengerollt, in Laken, die so abgenutzt und fadenscheinig waren, daß man durch sie hindurchsehen konnte.
Sich so klein wie möglich machen, mit dem feindlichen, jammervollen Universum verschmelzen, verschwinden …
Der plötzliche Energieausbruch, der sie aus ihrem vegetierenden Leben in Carlat herausgerissen hatte, klang ab. Sie hatte es satt, zu kämpfen, satt, zu leben … Michel brauchte sie nicht allzusehr. Er hatte seine Großmutter, und Bruder Etienne würde beim König mit Hilfe Königin Yolandes die Sache der Montsalvys verfechten. Wonach Cathérine verzweifelt verlangte, war, Arnaud wiederzufinden! Sie konnte die abscheuliche Leere nicht mehr ertragen, die er in ihrem Herzen, in ihrem Leben zurückgelassen, diesen Riß, der sich heute wieder erweitert hatte.
Sie schlug mühsam die Augen auf. Die Kammer war fast dunkel und still wie ein Grab. Cathérine hatte Sara angefleht, sie allein zu lassen. Sie war wie ein wundes Tier, das nicht die leiseste Berührung vertrug. Aber im roten Dämmer der fast heruntergebrannten Kohlen konnte sie den Stapel ihrer Kleider unterscheiden. Der lange Dolch Arnauds lag obenauf. Cathérine mühte sich aufzustehen, die Hand nach der Waffe auszustrecken. Eine einzige Bewegung würde genügen, und alles wäre beendet: der Schmerz, die Verzweiflung, der ewige Jammer. Eine Bewegung, eine einfache Bewegung …
Doch die unaufhörlichen Tränen, die sie vergossen hatte, die Heftigkeit der Schocks, die ihre Nerven hatten ertragen müssen, hatten sie an die Grenze der
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