Cathérine de Montsalvy
alsbald dem schweren Leben der Ihren angepaßt hatte, kein Mitleid für sie empfand. Es lag in ihrer Stimme eine Art ruhiger Zufriedenheit: Zufriedenheit darüber, daß sie zu den tiefen Quellen ihres Ursprungs zurückgekehrt war. Und Cathérine schwor sich, sich der Rolle gewachsen zu zeigen, die zu spielen sie sich vorgenommen hatte, denn sie wollte vor Sara nicht das Gesicht verlieren. Sie begnügte sich also, sich noch fester in ihren Überhang zu wickeln und auch ihre eisigen Beine drunterzuziehen, und murmelte ein undeutliches »Gute Nacht«. An ihrer Seite schlief die alte Orka ohne Geräusch und ohne sich zu rühren wie eine Tote.
Der Tagesanbruch brachte für Cathérine die Begegnung mit den Leuten des Stammes, und bei dieser Gelegenheit vermochte sie das ganze Elend abzuschätzen. Die Feuer der Nacht hatten eine Art Schminke über die Baufälligkeit der Karren, den Schmutz der Körper und Kleider gelegt. Das Tageslicht aber zeigte unbarmherzig die fast nackten Kinder, die übrigens nicht darunter zu leiden schienen, zeigte die mageren Tiere, Hunde, Katzen und Pferde, die auf der Suche nach Nahrung durchs Lager strichen, und zeigte auch das wahre Gesicht der Zigeuner.
Einige flochten für ihren Lebensunterhalt Körbe aus den Binsen des Flusses, aber die meisten waren Kupferschmiede. Ihre Schmiede war indessen höchst primitiv: drei Steine als Feuerherd, ein Blasebalg aus Ziegenhaut, mit den Zehen betrieben, und ein weiterer Stein als Amboß. Was ihre Gefährtinnen betraf, so lasen sie aus der Hand, kochten und stellten überall ihren lässigen Gang zur Schau, wiegten sich auf provozierende Weise in den Hüften. Auch ihre Art, sich zu kleiden, erstaunte Cathérine: Nicht selten konnte man eine Frau mit entblößten Brüsten bei ihrer jeweiligen Tätigkeit antreffen, doch verbargen sie ihre Schenkel und Beine bis zu den Knöcheln.
»Bei uns hängt die Scham mit den Schenkeln zusammen«, erklärte Sara mit Würde. »Die Brust hat keine andere Bedeutung als eben ihre Funktion, das Nähren der Kinder!«
Wie dem auch sei, dachte Cathérine, die Männer mit ihren wilden Augen und blitzenden Zähnen sahen wie Teufel aus, die Frauen, wenn sie jung waren, wie freche Teufelinnen, und wenn sie alt waren, wie unheimliche Hexen. Und insgeheim gestand die junge Frau sich ein, daß diese Leute ihr Furcht einflößten.
Mehr als alle vielleicht der große Fero. Das grobgeschnittene Gesicht des Anführers schien noch grausamer zu wirken, wenn er sie ansah. Sein dunkler Blick funkelte wie der einer Katze, während er sich nervös über die Lippen leckte. Aber er sprach sie nie an, ging langsam seines Weges und drehte sich manchmal um, um sie noch einmal zu betrachten.
Völlig entwurzelt, schloß Cathérine sich verzweifelt an Sara an, die sich unter ihren Rassegenossen mit souveräner Ungezwungenheit bewegte. Alle bezeigten ihr Ehrerbietung, von der Cathérine profitierte, übrigens sehr wohl begreifend, daß man sie ohne Sara zweifellos mißachtet hätte, sie, die Zufallszigeunerin, die nicht einmal das gemeinsame Idiom sprach. Um neugierigen Fragen zu entgehen, gab Sara sie aus Vorsicht als geistig beschränkt aus …
Zwar war das ganz bequem, aber Cathérine konnte sich trotzdem nicht daran gewöhnen, daß die Zigeuner mitten in der Unterhaltung schwiegen, wenn sie sich näherte, und ihr nachstarrten, wenn sie sich entfernte. Sie war von Blicken umgeben, in denen sie gewisse Dinge sehr gut lesen konnte: neidischen Spott bei den Frauen, heimtückische Lüsternheit bei der Mehrzahl der Männer.
»Diese Leute mögen mich nicht«, sagte sie zu Sara nach den ersten drei Tagen. »Ohne dich hätten sie mich niemals aufgenommen!«
»Sie spüren in dir etwas Fremdes«, erwiderte die Zigeunerin. »Sie wundern sich darüber, und es mißfällt ihnen. Sie glauben, bei dir sei etwas übernatürliches im Spiel, wissen aber nicht, wie oder was. Einige meinen, du seist eine Keshalyi, eine gute Fee, die ihnen Glück bringen wird (Fero versucht, sie davon zu überzeugen), andere wieder sagen, du hättest den bösen Blick. Meistens sind es Frauen, hauptsächlich, weil sie in den Augen ihrer Männer lesen können und du ihnen Furcht einflößt.«
»Was soll man also tun?«
Sara hob die Schultern und wies mit einer Kopfbewegung auf das Schloß, das wuchtig und schwarz über ihnen emporragte.
»Warten! Vielleicht kommt bald der Augenblick, in dem der Seigneur La Trémoille nach weiteren Tänzerinnen verlangt. Zwei Stammestöchter sind
Weitere Kostenlose Bücher