Cathérine de Montsalvy
für Cathérine wäre es so wohltuend, sich endlich diesem großen, gebieterischen Fluß zu überlassen, für immer in ihm unterzutauchen! So gut … und so leicht! Es genügte, ihre Beine gleiten zu lassen … o ja, es war leicht … es war …
Schon gaben ihre Beine nach. Die Strömung würde ihre leichte Gestalt schnell davontragen bis zu dem geheimnisvollen dunklen Tor, hinter dem es nichts mehr gab als Vergessen und Tod. Aber eine angsterfüllte Stimme gellte vom Ufer herüber:
»Cathérine! Cathérine! Wo bist du? … Cathérine!«
Es war Saras Stimme, von Entsetzen halb erstickt. Sie drang durch den Nebel, ein verzweifelter Anruf dieses Lebens, das Cathérine aufgeben wollte, und mit so vielen Erinnerungen geladen, daß die junge Frau sich ganz instinktiv mit den Zehen im Grund festklammerte. Die Spanne eines Augenblicks lang sah sie ihre alte Sara vor sich, wie sie auf dem feuchten Sand kniete und den Körper, den der Fluß ihr übergeben würde, in ein Leichentuch hüllte. Sie glaubte, sie weinen zu hören … und plötzlich packte sie der Selbsterhaltungstrieb. Sie riß sich zusammen, kämpfte gegen die Strömung, die sie davontragen wollte, fand die Energie wieder, die sie verloren geglaubt hatte, und schwamm halb, schritt halb der Uferböschung zu. Wieder ins Leben zurückkehrend, konnte sie in den ziehenden Nebelschwaden schließlich die Umrisse Saras erkennen, die am Ufer stand und immer wieder rief.
Bleich vor Unruhe und Besorgnis, fest in ihren grauen Umhang gehüllt, drückte die Zigeunerin Cathérines Kleider an sich, und große Tränen rollten ihr über die Wangen. Als die triefende Gestalt der jungen Frau vor ihr aus dem Nebel auftauchte, stieß sie einen rauhen Schrei aus, und als sie sie straucheln sah, warf sie sich ihr entgegen, um sie zu stützen, doch Cathérine sprang zur Seite und wich ihren Händen aus.
»Rühr mich nicht an!« sagte sie überdrüssig. »Du weißt nicht, wie sehr mir vor mir selbst schaudert. Ich bin schmutzig … Ich ekle mich!«
Das breite Gesicht Saras verriet ihr Mitleid. Obgleich Cathérine sich wehrte, schlossen sich ihre Arme um ihre frierenden Schultern, und nachdem sie sie mit ihrem eigenen Umhang kräftig abgetrocknet hatte, half sie ihr beim Anziehen und führte sie ins Lager zurück.
»Und deswegen wolltest du sterben, armes Ding? Weil ein Mann in dieser Nacht deinen Körper besessen hat? Nur wegen einer mit Fero verbrachten Nacht bist du so außer Fassung? Muß ich dich daran erinnern, daß das nur ein Anfang ist … daß du übersiehst, was dich auf dem Schloß erwartet? Warst du nicht, um ans Ziel dieses verrückten Abenteuers zu gelangen, zu allem bereit?«
»Aber ich war doch mit allem einverstanden diese Nacht … Ich hatte ich weiß nicht was für ein verfluchtes Gebräu getrunken, das Tereina mir gegeben hatte«, rief Cathérine eigensinnig. »Und ich hab' Vergnügen in Feros Armen empfunden. Verstehst du? Vergnügen!«
»Na und?« meinte Sara kalt. »Das ist nicht deine Schuld. Du hast's nicht gewollt. Was dir in dieser Nacht passiert ist, ist nicht wichtiger als eine vorübergehende Verrücktheit … oder ein einfacher Katarrh.«
Aber Cathérine wollte sich nicht trösten lassen. Sie warf sich auf das harte Lager, das sie mit Sara teilte, und schluchzte bis zur Erschöpfung. Es erwies sich als heilsam. Die Tränen verscheuchten den letzten Dunst, den die Droge in ihrem Hirn zurückgelassen hatte, gleichzeitig mit der sie niederdrückenden widerlichen Scham. Schließlich war sie so müde, daß sie in friedlichen Schlaf sank, der bis zum Mittag anhielt. Sie erwachte mit klarem Kopf und ausgeruhtem Körper. Doch nur, um von der alten Orka zu hören, daß sie noch am selben Abend nach den sonderbaren Riten der Zigeuner mit Fero vereint werden sollte.
Glücklicherweise verschwand die alte Orka alsbald, nachdem sie ›die große Neuigkeit‹, wie sie es nannte, verkündet hatte, denn die junge Frau bekam einen regelrechten Wutanfall. Daß Fero, nicht zufrieden, sie zu seiner Geliebten gemacht zu haben, sie heiraten wollte, weigerte sie sich heftig zu akzeptieren, und sie erging sich in so beleidigenden Ausdrücken ihm gegenüber, daß Sara sie mit Gewalt zum Schweigen bringen mußte. Ihre Schreie wurden gefährlich. Sie verschloß ihr mit der Hand den Mund und herrschte sie an:
»Sei nicht dumm, Cathérine! Daß Fero dich heiraten will, ist für dich überhaupt nicht wichtig. Wenn er dich nicht an sich bindet, werden die anderen das
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