Cathérine de Montsalvy
überrascht, die Lippen unter seinem Mund nicht mehr verschlossen zu finden, bemächtigte er sich ihrer gierig. Seine Lippen auf den ihren waren süß und dufteten nach Thymian. Schon triumphierend, fühlte Cathérine, daß sie leicht zitterten, hatte aber keine Zeit, sich daran zu ergötzen. Das verfluchte Aphrodisiakum hatte inzwischen alle Mächte der Hölle in ihr entfesselt. Sie konnte nicht mehr gegen sich ankämpfen. Ihr verrücktes Herz hämmerte gegen ihre Rippen. Die Heftigkeit ihres Bluts erstickte sie, und unter den Händen des Zigeuners bebten schon ihre Hüften … Es war auch nicht mehr möglich, die Liebesraserei Feros aufzuhalten, der sie, taub und blind für alles, was nicht dieser Frauenleib war, an sich preßte.
Cathérine schloß die Augen und überließ sich dem Sturm. Doch mit beiden Händen die schweißnassen Schultern des Zigeuners packend, murmelte sie:
»Liebe mich, Fero, liebe mich mit aller Kraft … aber wisse, daß ich dir nur verzeihen werde, wenn es dir gelingt, mich selbst meinen Namen vergessen zu lassen!«
Als Antwort ließ er sich zu Boden fallen und zog sie mit sich. Beide rollten, ineinander verschlungen, auf die schmutzigen Planken. Die ganze Nacht wütete der Sturm, rüttelte an den Karren, entwurzelte Bäume, riß die Schiefer der Dächer herunter, zwang die Bogenschützen der Wache auf den Zinnen des Schlosses, sich hinter die riesigen Pfeiler zu ducken. Aber in dem Karren auf dem Grunde des Wallgrabens hörten weder Cathérine noch Fero etwas. Dem unaufhörlichen, immer wiederkehrenden Verlangen des Mannes antwortete der seltsame Wahnsinn, der aus der jungen Frau eine schamlose Bacchantin gemacht hatte, die unter der Heftigkeit der Lust leidenschaftlich aufschrie.
Als das erste Licht des Tages zaghaft auf den Fluß fiel und sein fahler, nebliger Schein über die verwüsteten Uferböschungen glitt, drang die feuchte Frische des Tagesanbruchs durch die durchnäßte Plane und legte sich auf die in Schweiß gebadeten Körper der beiden Liebenden. Cathérine erwachte fröstelnd aus tiefem Schlaf, in den sie kurz zuvor mit Fero gesunken war. Sie fühlte sich todmüde, ihr Kopf war leer, und ein bitterer, übler Geschmack war in ihrem Mund, als hätte sie zuviel getrunken. Nicht ohne Mühe schob sie den reglosen Körper ihres Geliebten von sich, ohne ihn zu wecken, und raffte sich auf. Alles begann sich um sie zu drehen, und sie mußte sich an die Streben klammern, um nicht zu fallen. Ihre Beine zitterten, Übelkeit stieg in ihr auf. Kalter Schweiß perlte an ihren Schläfen, und einen Augenblick schloß sie die Augen. Die Übelkeit ging vorüber, und statt ihrer kehrte der Drang nach Schlaf wieder, unüberwindlich …
Tastend suchte sie ihr Hemd, streifte es sich mühsam über, hob ihren Umhang auf und verließ den Karren. Draußen hatte es aufgehört zu regnen, aber lange gelbliche Nebelfetzen zogen über den Fluß. Die Erde war völlig aufgeweicht, Äste der vom Gewitter mitgenommenen Bäume hingen gebrochen herunter. Die nackten Füße Cathérines stapften im dicken, weichen Schlamm. Sie machte drei Schritte und bemerkte trotz ihrer schweren Augenlider eine rötliche, geduckte Gestalt unter einem der Karren, die sich bei ihrer Annäherung rührte. Erstaunt erkannte sie Tereina. Das junge Mädchen sah ihr entgegen, und der Ausdruck ihres Gesichts verriet ihren Triumph. Da erinnerte sich Cathérine, was dieses Mädchen ihr eingebrockt hatte … Der Zorn weckte sie vollends. Sie warf sich auf die Zigeunerin, packte sie an ihrem roten Schal:
»Was hast du mir da zu trinken gegeben?« fuhr sie sie an. »Ich befehle dir, mir zu antworten! Was habe ich getrunken?«
Das verzückte Lächeln Tereinas enthielt keine Spur von Furcht.
»Du hast die Liebe getrunken … Ich habe dir meinen kräftigsten Liebestrank gegeben, damit dein Herz sich am Feuer, das in dem meines Bruders brannte, erwärme, jetzt bist du sein … und ihr werdet zusammen glücklich sein! jetzt bist du wirklich meine Schwester.«
Mit einem Seufzer ließ Cathérine den Schal los. Sie unterdrückte die Vorwürfe, die ihr auf den Lippen lagen. Was hätten sie genützt? Tereina wußte nichts von ihrer wahren Persönlichkeit. Sie hatte in ihr nur eine Tochter ihrer Rasse gesehen, eine Vertriebene, die ihr Bruder begehrte, und sie hatte geglaubt, beiden Glück zu bringen, indem sie sie in Feros Arme warf. Sie wußte nicht, daß Liebe und Verlangen verfeindete Brüder sein können …
Die kleine Zigeunerin
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