Cathérine de Montsalvy
da und dort dünne graue Spiralen in die Luft, über den Bergen, wo die Kastanien, ihres sommerlichen Laubs beraubt, ihre schwarzen Gerippe zum Himmel reckten, drang eine mühselige Sonne durch die Wolken, beschien die rußfarbenen Lanzenspitzen der Soldaten der Eskorte, ließ sie düster glänzen und färbte die Reiherfedern der Helme gelb. Ian MacLaren, Hugh Kennedys Leutnant, befehligte das Detachement von Schotten, das beauftragt war, den kleinen Seigneur und seine Großmutter nach Montsalvy zu geleiten. Die Abteilung sollte tags darauf zurück sein. Die Abreise nach Norden würde am Mittwoch stattfinden.
Als ein sich bis ins Tal hinunterziehendes Gehölz den kleinen Trupp verschluckt hatte und nur noch eine tiefe Doppelspur im Schnee zurückblieb, drehte Cathérine sich um. Sara, die Hände auf der Brust verschlungen, die Augen voller Tränen, blickte starr auf die Stelle, wo der Trupp verschwunden war. Cathérine sah, daß ihre Lippen zitterten. Dann suchte sie den Blick Gauthiers, aber er schenkte ihr keine Aufmerksamkeit. Nach Westen gewandt, schien er etwas zu hören. Der Ausdruck seines derben Gesichts war so gespannt, daß Cathérine, die sein Jagdhundgespür kannte, sofort unruhig wurde.
»Was ist los? Hörst du etwas?«
Ohne zu antworten, machte er ein bejahendes Zeichen und lief zur Treppe. Cathérine folgte ihm, blieb aber schnell hinter den weitausgreifenden Schritten des Normannen zurück. Sie sah ihn eiligst den Hof überqueren, unter dem Schutzdach verschwinden, wo der Hufschmied arbeitete, und gleich darauf mit Kennedy wieder zum Vorschein kommen. Gleichzeitig gellte der Ruf eines Wächters von der Turmspitze: »Bewaffneter Trupp in Sicht!«
Das Kleid raffend, stieg sie die wenigen Stufen wieder empor, die sie heruntergekommen war, und lief, von Sara gefolgt, den langen Wehrgang entlang zum Schwarzen Turm. Die Ankündigung dieses Trupps verstärkte ihre Angst um ihren Sohn, obgleich er sich aus der entgegengesetzten Richtung zu nähern schien, als die Eskorte eingeschlagen hatte. Sie erreichte die vorspringende Turmwehr just in dem Augenblick, in dem Gauthier und der Gouverneur, rot und außer Atem vom schnellen Treppensteigen, oben erschienen. Sofort stürzten sie zu den Schießscharten. Tatsächlich war auf der Straße von Aurillac ein starker Trupp aufgetaucht. Er zeichnete sich auf dem Schnee als lange graue Spur ab, wie ein stumpf schimmernder Schlammstrom, der näher kam, näher kam, näher … Wenige Banner, deren Farben auf diese Entfernung übrigens nicht zu unterscheiden waren, aber an der Spitze flatterte etwas Langes, Rotes im Wind. Cathérine versuchte, mit zusammengekniffenen Augen das eingestickte Wappen zu erkennen, und gab es dann auf. Aber Gauthiers scharfe Augen hatten es schon entziffert.
»Viergeteiltes Wappen!« sagte er kurz. »Halbmonde und Querstreifen, das habe ich doch schon irgendwo gesehen …!«
Cathérine gestattete sich ein dünnes Lächeln.
»Du wirst noch ein Gelehrter werden«, sagte sie. »Nächstens tust du es den königlichen Heraldikern gleich!«
Aber Kennedy lächelte nicht. Sein ziegelsteinrotes Gesicht mit dem vorwurfsvollen Zug um die schmollenden Lippen sah unheilverkündend aus. Er wandte sich ab, brüllte etwas in seinem groben Dialekt und fügte hinzu:
»Das Fallgatter herunter! Zugbrücke hoch! Die Bogenschützen auf die Mauern!«
Sofort war die Festung von Betriebsamkeit erfüllt. Mit Bogen und Hellebarden bewaffnet, stiegen die Männer auf die Mauern, während andere die Zugbrücke und das Fallgatter bedienten. Gutturale Schreie, Rufe, Waffenklirren, emsiges Hin- und Herlaufen in jeder Richtung. Das noch vor einem Augenblick unter dem Schnee schlummernde Schloß war jäh erwacht. Schon stapelte man in den Wehrgängen Holzscheite auf und schleppte die großen Töpfe für das kochende Öl heran. Cathérine trat zu Kennedy.
»Ihr setzt das Schloß in Verteidigungszustand? Warum?« fragte sie. »Wer nähert sich uns?«
»Villa-Andrado, der Hund von Kastilien!« gab er kurz zurück. Und um zu zeigen, welche Achtung er für den Ankömmling empfand, spuckte der Schotte in großem Bogen aus und fügte hinzu: »Gestern nacht haben die Wachen einen Feuerschein von Aurillac her beobachtet. Ich hatte der Sache keine weitere Aufmerksamkeit geschenkt, aber ich muß zugeben, daß ich unrecht hatte. Das war er!«
Cathérine wandte sich ab und lehnte sich an einen der riesigen Pfeiler. Sie zupfte ihren Schleier zurecht, den der Wind aufflattern
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