Cathérine und die Zeit der Liebe
als Cathérine sich zu ihm zurückwandte, konnte sie keine Spur von Zorn auf seinem Gesicht entdecken.
»Wollt Ihr mir verzeihen, Dame Cathérine?« sagte er mit tonloser Stimme. »Es ist wahr, daß diese armen Leute mir ohne Euer Dazwischentreten das Leben genommen hätten. Und daß ich Euch dafür danken müßte. Aber«, fügte er heftig und mit belegter Stimme hinzu, »es kommt mich schwer an, einer Frau zu danken, um so mehr, als das Leben mir eine unerträgliche Last ist! Wenn ich Gott nicht fürchtete, hätte ich schon lange mit meinem Leben Schluß gemacht.«
»Andere Leute zu benutzen, um Euch zu beseitigen, ist nur eine Finte, mit der Gott sich nicht hinters Licht führen ließe. Ich füge hinzu, daß in diesem Fall das Verbrechen doppelt groß wäre, denn zu Eurer geheimen Absicht käme noch das Unrecht, das Ihr, statt es selbst zu begehen, von Unschuldigen verlangt hättet. Was Euren Dank betrifft, haltet Euch nicht für verpflichtet. Ich hätte dasselbe für jeden anderen getan!«
Gerbert antwortete nicht, aber als Cathérine einige Schritte auf die Herberge zu machte, trat er neben sie, sich leicht zu ihr hinunterbeugend. Er schien sie plötzlich auf keinen Fall verlassen zu wollen, und Cathérine versuchte gar nicht erst, sich diese neue Marotte zu erklären. Da er aber Schweigen bewahrte, fragte sie ihn schließlich:
»Ihr haßt die Frauen, nicht wahr?«
»Mit aller Kraft, von ganzer Seele … Sie sind die unaufhörliche Falle, in der sich der Mann verfängt.«
»Warum dieser Haß? Was haben sie Euch denn getan? Habt Ihr keine Mutter gehabt?«
»Das ist die einzige reine Frau, die ich gekannt habe. Alle anderen waren nichts als schmutzig, unzüchtig und falsch.«
Cathérine hätte durch dieses brutale Urteil verletzt sein können. Trotzdem empfand sie nur eine Art Mitleid, weil sie hinter Gerberts Zorn ein Leiden vermutete, das sich nicht definieren ließ.
»Habt Ihr sie schon immer verabscheut?« fragte sie. »Oder …« Er ließ sie nicht ausreden.
»Oder habt Ihr sie zu sehr geliebt? Ich glaube, daß es in Wahrheit so ist. Weil ich schon immer den verfluchten Geschmack der Frau im Blut gehabt habe, weil sie schon immer mein Feind war! Ich hasse sie!«
Der Widerschein einer Kerze, die noch auf dem Ladentisch eines Händlers mit Heiligenbildern brannte, huschte einen Augenblick über das Gesicht und die Hände des großen Pilgers, deren eine seinen schwarzen Mantel hielt. Seine Züge waren vom Feuer düsterer Leidenschaft durchglüht, und die freie Hand zitterte. Das Verlangen, ihn herauszufordern, bewegte Cathérine stehenzubleiben.
»Schaut mich an!« befahl sie. »Und sagt mir, ob Ihr glaubt, daß ich wirklich nur schmutzig, unzüchtig und falsch bin!«
Sie hatte sich bewegungslos ins gelbe Licht der Kerze gestellt, bot dem flackernden Blick des Mannes ihr reines Gesicht, das, von der den ganzen Tag getragenen Kapuze befreit, von einer dunkelgoldenen Aureole umgeben war, über die fahlrote Lichtreflexe glitten. Dichte Locken hingen fast bis auf die Schultern, ein kleiner Ersatz für den schon zweimal geopferten königlichen Schmuck von einst. Mit leisem Lächeln betrachtete sie ihren Gefährten, der plötzlich bleich geworden war. Er schien sich in eine Statue verwandelt zu haben, aber in eine Statue mit flammendem Blick.
»Alons , Messire Gerbert, antwortet mir!«
Da machte er eine ausholende Bewegung, als wollte er eine teuflische Vision verjagen, und wich in den Schatten der Abteimauer zurück.
»Ihr seid zu schön, um nicht ein Dämon zu sein, der gekommen ist, mich zu versuchen! Aber Ihr werdet nichts bei mir ausrichten, hört Ihr? Nichts werdet Ihr ausrichten! Hebe dich hinweg von mir, Satan!«
Von heiliger Furcht ergriffen, wollte er fliehen. Cathérine begriff, daß man diesem Mann nie beikommen konnte, daß er bis in den Geist befallen war. Eine Art Krankheit. Sie hob die Schultern, und ihr Lächeln schwand.
»Sagt keine solchen Albernheiten«, entgegnete sie gelassen. »Ich habe nichts Dämonisches an mir! Ihr sucht den Seelenfrieden, ich suche etwas anderes … Doch dieses Etwas mir zu geben, liegt nicht in Eurer Macht, in keines Mannes Macht übrigens … mit einer einzigen Ausnahme.«
Wider seinen Willen wagte Gerbert Bohat zu fragen:
»Wer ist dieser Mann?«
»Ich glaube«, sagte Cathérine kurz, »daß Euch dies nichts angeht! Guten Abend, Messire Gerbert!«
Und diesmal entfernte sie sich in Richtung der Herberge, ohne daß er versuchte, sie zurückzuhalten.
Weitere Kostenlose Bücher