Cathérine und die Zeit der Liebe
ein wenig Großmut zu, und haltet ihn nicht für einen schäbigen Krämer, der sich nur an feste Geschäftsabmachungen hält. Was haltet Ihr von seiner Barmherzigkeit?«
»Ich halte sehr viel von ihr, Ermengarde, aber wir ziehen mit den anderen weiter!«
Sie hatte fest gesprochen, in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. Auch Ermengarde täuschte sich darüber nicht. Ein entmutigter Seufzer war ihre einzige Antwort.
Die Prozession von Sainte-Foy mußte wirksam gewesen sein, denn als die Pilger sich am nächsten Tag in der Frühe von neuem auf den Weg machten und Conques, die gewohnheitsmäßigen frommen Lieder singend, verließen, goß es wie mit Kübeln. Cathérine hatte ihren Platz zwischen Josse Rallard und Colin des Epinettes wieder eingenommen. Mutig schritt sie dahin und versagte es sich, zur Nachhut zurückzublicken, wo Ermengarde und ihr berittener Trupp reisten. Es war der Gräfin gelungen, Gott allein wußte, wie, sich während des Aufenthalts zwei neue Pferde zu beschaffen, deren eines die eine Kammerfrau trug, während das andere frei nebenhertrottete, von Sergeant Béraud am Zügel geführt. Cathérine war sich nicht im unklaren, daß dieses Tier für sie bestimmt war, aber sie wollte es nicht wissen.
Der Weg stieg mühselig am Hang des Hügels an, um wieder ins Tal des Lot zu führen und von da Figeac zu erreichen. Und der Regen diente zu nichts. Er verwüstete die Landschaft, zerschlug die zarten, eben erblühenden Rosen des Heidelands, verschreckte das kleinste Blatt, füllte die Augen und wurde von dem groben Wollstoff der Pilgerkleidung aufgesogen. Bald fein und sprühend, bald von jähen Windstößen gepeitscht, breitete er über das düstere Land eine furchtbare Traurigkeit, schwer wie die Welt, die Catherines Herz zu bedrücken schien. Niemand dachte an diesem Morgen mehr daran zu singen. An der Spitze marschierte Gerbert mit rundem Rücken, den Kopf zwischen die Schultern geduckt, ohne sich auch nur einmal umzudrehen.
Als man die Höhe des Hanges erreichte, waren plötzlich Rufe hinter der Kolonne zu vernehmen.
»Haltet an! … Um der Liebe Gottes willen, haltet an!«
Diesmal wandte Gerbert sich um und alle anderen mit ihm. Weiter unten am Hang taten drei atemlose Mönche ihr Bestes, sie einzuholen. Mitunter strauchelte einer von ihnen in einem Loch oder über einen Stein, aber sie riefen unaufhörlich und schwenkten heftig die Arme.
»Was ist da los?« murmelte Colin mürrisch. »Haben wir etwas vergessen, oder wollen diese frommen Leute sich uns anschließen?«
»Das würde mich wundern«, erwiderte Josse Rallard, der die drei Mönche mit Stirnrunzeln herankommen sah. »Sie tragen nichts bei sich, nicht einmal Pilger Stäbe.«
»Dann wollen sie sich vermutlich unseren Gebeten am Heiligen Grab des Apostels empfehlen«, entgegnete Colin salbungsvoll. Aber sein Gefährte sah ihn so scharf an, daß er nicht wagte, in seinen Vermutungen weiterzugehen. Übrigens lief Gerbert Bohat die ganze Länge der Kolonne zurück, den Ankömmlingen entgegen. Sie trafen ziemlich in der Nähe Catherines und ihrer Gefährten zusammen, so daß der jungen Frau nichts von ihrer Unterhaltung entging. Außerdem brüllten die drei Mönche trotz ihrer Kurzatmigkeit, daß die Felsen barsten.
»Man hat uns bestohlen! Fünf große Rubine sind vom Mantel der heiligen Foy entwendet worden!«
Ein Unmuts- und Zorngeschrei begrüßte diese Nachricht, aber Gerbert erwiderte sofort schlagfertig und aggressiv:
»Das ist eine scheußliche Freveltat, aber ich sehe nicht ein, weshalb ihr uns so eilig gefolgt seid, um uns das mitzuteilen. Ihr nehmt doch nicht etwa an, daß einer von uns der Dieb ist? Ihr seid fromme Leute, aber wir, wir sind die fahrenden Ritter Gottes!«
Der größte Mönch wischte mit verlegener Miene über sein großes rosiges Gesicht, über das der Regen in kleinen Rinnsalen herunterrann, und machte eine ohnmächtige Geste.
»Die schwarzen Schafe des Teufels verbergen sich manchmal zwischen den Besten unter uns. Und die Tatsache, daß man einem Pilgerzug angehört, ist noch längst keine Garantie für Frömmigkeit. Es gibt Beispiele …«
»Wir waren nicht die einzigen in Conques gestern … oder wann immer der Diebstahl begangen wurde. Ich bewundere Eure christliche Nächstenliebe, die sich zuerst gegen arme Pilger wendet, ohne an dieses Pack von Possenreißern und Gauklern zu denken, die sich neulich abends vor Eurer Kirche zur Schau stellten.«
Cathérine unterdrückte ein
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