Cathérine und die Zeit der Liebe
praktisch nicht mehr den Boden. Cathérine belud sich mit ihrem Stab und ihrem sehr schmalen Bettelsack. Man setzte sich wieder in Marsch, aber der Aufenthalt hatte die Zungen gelöst. Jetzt beklagten sich die Pilger über die Länge der Strecke und die Dunkelheit, die sie umgab. Einige fürchteten die verräterischen Torfstiche und flehten den heiligen Jakob an, sie in dieser ersten Gefahr zu beschützen.
»Schweigt!« rief irgendwo im Nebel vor Cathérine die herrische Stimme Gerberts. »Oder singt!«
»Wir haben nicht den Mut!« erwiderte jemand. »Warum nicht zugeben, daß wir verloren sind?«
»Weil wir's nicht sind!« erwiderte der Führer. »Das Hospiz kann nicht mehr weit sein …«
Cathérine öffnete schon den Mund, um ebenfalls ihre Zweifel zu äußern, doch wie um dem Clermonteser recht zu geben, drang der dünne, zarte Klang einer Glocke durch den Nebel. Bohart stieß einen Triumphschrei aus. »Die Glocke der Verlorenen! Wir sind auf dem richtigen Weg. Vorwärts!«
Seinen Stab wie eine Standarte emporhebend, stürzte er in die Richtung, aus der der Ton kam. Der ermattete Trupp setzte sich hinter ihm in Bewegung.
»Hoffen wir, daß er so etwas wie Richtungsgefühl hat«, murmelte Josse. »Nichts ist täuschender als Nebel!«
Cathérine sagte nichts darauf. Sie fror und war schrecklich müde. Aber die Rufe der Glocke wurden immer deutlicher. Bald blinkte ein schwaches gelbes Licht in der Dunkelheit. Gerbert begrüßte es wie einen persönlichen Sieg.
»Dieses Feuer da zünden die Mönche auf der Spitze des Glockenturms an. Wir kommen hin.«
Der Nebel teilte sich plötzlich, und Cathérine sah mit Erleichterung eine Masse gedrungener Gebäude vor sich auftauchen. Mit schwarzen Firsten in den Himmel ragend, schienen ein riesiger, uralter Turm, ein mächtiger, viereckiger Glockenturm, auf dem das Feuer brannte, und ein von gewaltigen Strebepfeilern gestütztes Kirchenschiff den ganzen Komplex großer Gebäude mit seinen spärlichen Fenstern zu bewachen. Das Hospiz der Einsamkeit, wie es im letzten Winkel des weiten Plateaus stand, glich ganz einer Festung. Die neu belebten Pilger stießen Freudenschreie aus, die den Ton der Glocke, deren Schläge jetzt direkt über ihren Köpfen zu hören waren, fast übertönten. Das Portal öffnete sich knarrend und gab drei Mönchen mit Fackeln den Weg frei, die den Ankömmlingen entgegeneilten.
»Wir sind Reisige Gottes!« rief Gerbert mit starker Stimme. »Wir bitten um Asyl!«
»Tretet ein, Brüder, das Asyl ist euch gewährt …«
Als wäre nur die Ankunft der Pilger abgewartet worden, fing es plötzlich heftig an zu schneien, und die Flocken bedeckten die festgetretene Erde des weiten Hofs, in dem ihnen der starke Geruch von Schafen in die Nase stieg. Cathérine lehnte sich erschöpft an eine Wand. Zweifellos würde ein gemeinsamer Schlafsaal sie und ihre Reisegefährtinnen aufnehmen, aber an diesem Abend verlangte es sie danach, ohne daß sie eigentlich recht wußte, warum, einen Augenblick mit sich allein zu sein. Vielleicht, weil diese seltsame Reise sie trotz ihres Mutes in Verwirrung brachte. Sie fühlte sich inmitten dieser Leute entwurzelt, fremd gegenüber ihrem Trachten, ihren Gelübden. Was sie alle wünschten, war, sich zu heiligen, indem sie zum Grab des Apostels pilgerten, es war eine Art Versicherung bei Lebzeiten auf einen guten Platz im Paradies. Sie aber? Gewiß, sie wünschte, von Gott das Ende ihres Leidensweges zu erlangen, die Heilung ihres vielgeliebten Gatten, aber besonders, »ihn« wiederzusehen, seine Liebe wiederzugewinnen, seine Küsse, seine Leidenschaft, alles, was die lebendige Wirklichkeit Arnauds ausmachte. Sie strebte nicht nach hoher Vergeistigung, sondern nach irdischer Liebe, nach Sinnenlust, ohne die sie nicht den Mut zum Leben hatte.
»Wir werden uns jetzt trennen«, sagte die kurz angebundene Stimme Gerberts. »Hier sind die Barmherzigen Schwestern, die sich um die Frauen kümmern werden. Die Männer folgen mir!«
Tatsächlich traten eben aus einem der Gebäude vier Nonnen, die wie die Mönche die schwarze Kutte des Augustinerordens trugen, für sie nur durch ein weißes Kopftuch aufgehellt.
Josse Rallard und Colin des Epinettes übergaben ihnen die arme, halb bewußtlose Gillette, und Cathérine trat hinzu. »Meine Gefährtin ist erschöpft«, sagte sie. »Sie braucht Pflege und viel Ruhe. Habt Ihr kein Zimmer, wo ich mich um sie kümmern könnte?«
Die Barmherzige Schwester sah Cathérine ärgerlich an. Sie
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