Cathérine und die Zeit der Liebe
sitzend, von einer Unmenge Kissen gestützt, blitzte eine große, starke Frau Schwester Leonarde wütend an, die im Vergleich zu der imposanten Person völlig unscheinbar aussah. Das dichte weiße Haar der Dame zeigte noch einige rote Locken, und ihr vom Zorn belebter Teint war von schönstem Ziegelrot. Decken häuften sich über ihr. Eine Art roter, mit Fuchsfell gefütterter Umhang bedeckte ihre Schultern, aber eine bewundernswert weiße, in drohender Geste auf die Schwester gerichtete Hand sah aus dem weiten Ärmel hervor.
Das Knarren der Tür beim Öffnen hatte die Aufmerksamkeit der Dame abgelenkt, die, als sie eine weibliche Silhouette im Schatten des Rahmens entdeckte, ihre Wut auf diese richtete.
»Was soll das? Tritt man bei mir ein wie in eine Mühle? Wer ist die da?«
Fast erstickend vor Erregung, zwischen Lachlust und Tränen schwankend, trat Cathérine vor, bis der Widerschein des Kaminfeuers auf sie fiel.
»Ich bin's nur, Dame Ermengarde! Habt Ihr mich vergessen?«
Vor Verblüffung verschlug es der alten Dame die Sprache, ihre Augen wurden kugelrund, die Arme fielen herab, ihr Mund öffnete sich, ohne daß ein Ton herauskam, und sie wurde so bleich, daß Cathérine Angst bekam.
»Erkennt Ihr mich denn nicht, Ermengarde?« fragte sie bang. »Man könnte meinen, ich hätte Euch Angst eingejagt. Ich bin's, ich …«
»Cathérine! Cathérine! Meine Kleine!«
Ihr Stimmaufwand ließ Schwester Leonarde zusammenfahren. Im nächsten Augenblick mußte die Barmherzige Schwester sich auf ihren hitzigen Gast stürzen, denn Ermengarde de Châteauvillain wollte sich, ihren Unfall vergessend, aus dem Bett schwingen, um ihrer Freundin entgegenzueilen.
»Euer Bein, Frau Gräfin!«
»Zum Teufel mit meinem Bein! Laßt mich! Himmeldonnerwetter! Cathérine! … Das ist doch nicht möglich! … Das ist zu schön, um wahr zu sein!«
Sie zappelte unter den Händen der Schwester, aber schon hatte Cathérine sich auf sie geworfen und drückte sie nieder. Die beiden Frauen umarmten sich leidenschaftlich. Freudentränen waren in die Augen der Jüngeren getreten.
»Ihr habt recht, es ist zu schön! … Es ist ein Wunder! Oh, Ermengarde, es ist so gut, Euch wiederzusehen, so gut … Aber wie kommt Ihr hierher?«
»Und Ihr?«
Ermengarde schob Cathérine sanft zurück und betrachtete sie prüfend.
»Ihr habt Euch nicht verändert … oder nur ganz wenig! Ihr seid immer noch so schön, vielleicht noch schöner? Trotzdem, anders … vielleicht weniger auffallend, aber um wieviel ergreifender! Ich würde sagen: geläutert, vergeistigt! … Zum Teufel, wenn man bedenkt, daß Ihr in einer Boutique auf die Welt gekommen seid!«
»Frau Gräfin«, mischte Schwester Leonarde sich nun mit festem Ton ein, »ich möchte Euch bitten, jede Erwähnung des Herrn Satan in diesen geheiligten Mauern zu unterlassen! Ihr ruft ihn ununterbrochen an!«
Ermengarde wandte sich ihr zu und betrachtete sie mit einem Erstaunen, das nicht gekünstelt war.
»Seid Ihr immer noch da? O ja … stimmt, Eure Zimmerangelegenheit. Gut, quartiert diese faulen Menschen von nebenan aus, schickt sie in den Gemeinschaftssaal, und bringt Eure Kranke an ihrer Stelle unter. Da ich nun Madame de Brazey habe, brauche ich niemand mehr! Und wir haben viel zu besprechen!«
Die so hochfahrend entlassene Schwester kniff die Lippen zusammen, verneigte sich jedoch und ging wortlos hinaus. Die hinter ihr zuschlagende Tür gab genugsam ihr Mißvergnügen kund. Die Gräfin blickte ihr nach, zuckte mit den Schultern und rückte dann schwerfällig auf dem unter ihrem Gewicht ächzenden Bett zur Seite, um ihrer Freundin Platz zu machen.
»Setzt Euch hierher, meine Kleine, und unterhalten wir uns! Wie lange ist es her, seit Ihr mich verlassen habt, um die Stadt Orleans im Sturm zu nehmen?«
»Fünf Jahre«, sagte Cathérine. »Schon fünf Jahre! Wie schnell die Zeit vergeht!«
»Fünf Jahre«, entgegnete Ermengarde, »versuche ich schon vergeblich herauszufinden, was aus einer gewissen Dame de Brazey geworden ist. Das letztemal, als ich Nachricht von Euch hatte, wart Ihr in Loches, Edeldame bei Königin Yolande. Schämt Ihr Euch gar nicht?«
»Doch«, gab Cathérine zu, »aber die Tage sind verronnen, ohne daß ich es merkte. Und dann, liebe Ermengarde, müßt Ihr Euch abgewöhnen, mich Brazey zu nennen. Das ist nicht mehr mein Name …«
»Welcher dann?«
»Der allerschönste: Montsalvy!« erwiderte die junge Frau mit so viel Stolz, daß die alte Gräfin sich
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