Cato 01 - Im Zeichen des Adlers
Sonnenaufgang aufbrächen und zügig marschierten, würden sie die Hauptstreitmacht bei Anbruch der Dunkelheit erreichen.
»Das ist ausgezeichnet, Zenturio.« Narcissus nickte anerkennend. »Wenn wir im Dunkeln eintreffen, erregen wir weniger Aufsehen. In Anbetracht der Umstände wäre mir das sehr recht.«
Cato und Macro sahen sich an; ebendiese Umstände lagen völlig im Dunkeln. Narcissus hatte in der Zwischenzeit keine Anstalten gemacht, das Geheimnis zu lüften, und Macro war Soldat genug, um seine Befehle nicht zu hinterfragen. Außerdem war er Mensch genug, um dem kaiserlichen Sekretär die Genugtuung, ihn abblitzen zu lassen, vorenthalten zu wollen.
»Noch etwas Wein, Herr?« Mit gezwungenem Lächeln hielt er Narcissus den Krug hin.
Diesmal wechselten Cato und Narcissus Blicke, erstaunt über die Durchsichtigkeit von Macros Manöver. Narcissus lachte.
»Ja, gern, Zenturio. Doch ich fürchte, der Wein wird nicht reichen, um mir die Zunge zu lösen. Du wirst dich wohl in Geduld fassen müssen.«
Macro errötete, was trotz des Feuerscheins nicht zu übersehen war. Nachts war es noch immer kühl, und das Lagerfeuer und das warme Essen war den Männern hoch willkommen. Die Nahrungsmittel, die Piso für die Zenturie ergattert hatte, stammten aus den Vorräten der Stabsoffiziere, denn Vespasian wollte bei dem erlesenen Gast einen guten Eindruck machen. Von den Silbertellern, die Narcissus’ Leibwächter aus einer der Truhen geholt hatte, speisten sie einen Eintopf aus Wildbret und Frühlingsgemüse. Macro hatte bereits eine doppelte Portion verdrückt und schmatzte mit den Lippen, bevor er sie sich mit dem Handrücken abwischte. Als er die missbilligenden Blicke der beiden anderen Männer bemerkte, kippte er achselzuckend den Rest des Weins in sich hinein und schenkte dann nach.
»Es tut gut, einen Mann zu beobachten, dem es schmeckt«, bemerkte Narcissus mit arglistigem Lächeln. »Auch wenn es sich um solch einfache Gerichte handelt, wie sie den gewöhnlichen Soldaten vorbehalten sind. Ich muss sagen, ich komme mir jetzt, da wir die Entbehrungen des Marsches, die eisernen Rationen und das Leben in der Wildnis des ungezähmten Gallien miteinander teilen, beinahe vor wie einer von euch.«
»Ungezähmtes Gallien?« Macro hob die Brauen. »Was ist denn daran ungezähmt?«
»Sind dir in Durocortorum irgendwelche Theater aufgefallen? Sind wir unterwegs etwa an ansehnlichen Besitzungen vorbeigekommen? Ich habe bloß heruntergekommene Gehöfte und ein paar schäbige Herbergen gesehen. Das meine ich mit ungezähmt, Zenturio.«
»An Herbergen ist nichts Ungezähmtes«, erwiderte Macro mürrisch.
»An und für sich nicht. Aber bedenke nur einmal, was für ein übles Gesöff man hier als Wein verkauft. Das würde ich nicht mal als Salatsoße verwenden.«
»Im Moment trinkst du es«, meinte Macro.
»Nur mit äußerster Überwindung. Außerdem hast du es mir aufgedrängt. Vielleicht muss ich ja zu härteren Mitteln greifen, um meinem armen Magen weitere Torturen zu ersparen. «
»Fühl dich ganz wie zu Hause, Herr«, meinte Cato grinsend. »Und erzähl uns, warum wir nach Gesoriacum marschieren. Ja wohl kaum, um die Invasion zu überwachen – die entsprechenden Pläne müssen doch schon vor Monaten fertiggestellt worden sein. Irgendetwas stimmt da nicht, hab ich Recht?«
Narcissus musterte ihn forschend und wählte seine Worte mit Bedacht. »Ja. Viel mehr darf ich nicht preisgeben, und das werde ich auch nicht. Aber es steht viel auf dem Spiel. Ich muss Gesoriacum erreichen – und zwar lebend. Ich soll General Plautius gewisse Informationen überbringen. Sollte mir etwas zustoßen, dürfte der Eroberungsfeldzug wohl kaum stattfinden, und ohne Feldzug gibt es über kurz oder lang auch keinen Kaiser mehr.« Seine Zuhörer reagierten mit Unglauben, und Narcissus beugte sich vor, die eine Hälfte des Gesichts in unsteten Schatten gehüllt. »Das Reich ist in Gefahr, so bedroht wie noch nie. Im Senat gibt es noch immer ein paar Narren, die glauben, sie wären fähig, das Reich zu führen. Sie lassen niemals davon ab, die Stellung des Kaisers zu schwächen – deshalb muss ich nach Gesoriacum. Es gibt Leute, die halten Claudius für einen grausamen Einfaltspinsel.« Er lächelte betrübt. »Ihr werdet euch vielleicht wundern, dies aus meinem Mund zu vernehmen, aber vielleicht trifft es ja sogar zu. Jedenfalls ist er der einzige Kaiser, den wir haben, und die julisch-claudische-Dynastie könnte mit ihm
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