Cato 05 - Beute des Adlers
konnte dieser die grimmige Wut in seinem verkniffenen Gesicht gar nicht übersehen. Maximius ging ihm entgegen und salutierte. Vespasian starrte ihn einen Augenblick nur schweigend an.
»Centurio … «, sagte er schließlich mit kaum unterdrückter Wut. »Ich weiß zwar nicht genau, was heute hier passiert ist, aber wenn dieser Tag Schande über mich oder die Zweite Legion gebracht hat, dann schwöre ich, dass du und jeder Mann dieser Kohorte ihn bitter bereuen werden.«
KAPITEL 13
I m Gegensatz zur Kühle der mondbeschienenen Nacht war die Luft im Zelt des Generals geradezu drückend. Vespasian spürte feuchten, juckenden Schweiß auf der Stirn und wischte ihn schnell ab. Der General durfte nicht den Eindruck gewinnen, dass er nervös war; das würde nur darauf hindeuten, dass es einen Grund gab, nervös zu sein – beispielsweise die Verantwortung für den Fehlschlag des Plans übernehmen zu müssen. Dass es nicht seine, sondern die Schuld seiner Untergebenen gewesen war, dass Caratacus und ein Großteil seiner Truppe der Falle hatte entkommen können, würde Aulus Plautius herzlich wenig interessieren. Vespasian war für die Taten der Männer unter seinem Befehl verantwortlich – so wurde es in der Armee gehandhabt – , und er würde auch die Konsequenzen zu spüren bekommen. Wie er dann seinerseits mit seinen Männern umsprang, war ganz ihm überlassen.
Der Legat musste vor dem Zelteingang warten. Der Schreiber ging durch einen Leinenvorhang, der den Bereich abtrennte, der für Plautius und seinen Stab reserviert war. Durch den dünnen Stoff war der Schein mehrerer Lampen zu erkennen. Verzerrte Schatten huschten über die Falten im Leinen. Der Eingang selbst wurde von einer Lampe erhellt, die an einer Kette von der Zeltstange hing. Die schwache, gelbe Flamme flackerte bei jedem Windhauch. Vor dem Eingang und den Leibwächtern, die dahinter aufgereiht waren, führte ein Pfad zum Fluss hinunter, dessen stilles Wasser im Mondlicht glänzte. An der Furt umspülte die glitzernde Strömung die seichten Kiesbänke und die dunklen Leichenberge, die noch immer den Übergang säumten. Am anderen Ufer zeichnete sich im silbernen Mondlicht deutlich der Festungswall ab, der das Marschlager der Zweiten Legion umgab. Dahinter leuchteten so hell wie gefallene Sterne kleine Feuer in die Nacht.
Vespasian hatte sein Lager kurz vorher verlassen und war über die Furt geritten. Der General hatte ihm mit knappen Worten befohlen, sich sofort bei ihm zu melden. Sein Pferd hatte sich Schritt für Schritt einen Weg durch die Gefallenen auf dem Boden bahnen müssen. Einige der Männer lebten noch, jammerten leise oder brachten genug Kraft auf, um einen Schmerzensschrei herauszubrüllen, der Vespasians Pferd erschreckte. Auf seinem Weg durch die Furt und über die kleine Insel schien es dem Legaten, als wollten die Leichen kein Ende nehmen. Sie bedeckten auch den Pfad und türmten sich vor den Überresten von Macros behelfsmäßiger Barrikade auf. Der schlimmste Anblick bot sich dem Legaten allerdings, als er die Anhöhe zum Lager des Generals hinaufritt.
Man hatte die Toten zu beiden Seiten des Pfads aufgeschichtet, ein schattiges Durcheinander aus Gliedmaßen und Torsi, die in der drückenden Nachtluft langsam steif wurden. Hinter dem nächsten Leichenberg erkannte der Legat, dass die gesamte vom Mond beschienene Landschaft von Körpern bedeckt war. Es waren Tausende. Bei der Vorstellung, dass er gerade eben von unzähligen Totengeistern umgeben war, lief es dem Legaten kalt den Rücken hinunter. Die Geister würden noch einige Zeit auf Erden wandeln, bevor sie ihre Reise in das Land der endlosen Schatten antraten, wo die Toten die Eintönigkeit der Ewigkeit erwartete. Ihm war bewusst, dass diese Barbaren an das Jenseits als ein einziges wüstes Trinkgelage glaubten, doch angesichts der entsetzlichen Nüchternheit des Todes war eine solche Vorstellung nur schwer nachzuvollziehen. Die Grausamkeit, mit der die Menschen hier gegeneinander gewütet hatten, ließ sein Herz so schwer wie nie zuvor werden.
»Der General wird dich jetzt empfangen, Herr.«
Vespasian drehte sich zu dem Schreiber um und zwang sich, die düsteren Gedanken, die wie ein Leichentuch auf der Welt außerhalb des Zelts lagen, aus seinem Kopf zu verscheuchen. Er duckte sich unter der Stoffbahn hindurch, die der Schreiber für ihn in die Höhe hielt. Dahinter saßen weitere Schreiber an ihren Tischen. Trotz der späten Stunde waren sie fleißig bei der Arbeit und
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