Catpower: Das ultimative Körperbuch (German Edition)
durchzustrecken, das zwingt das Becken in die Kippung und das raubt den Beinmuskeln die natürliche Verschraubung. Stöckelschuhe, stundenlang getragen, verkrampfen allenfalls die zitierten Schließmuskeln, sie verkrampfen auch einzelne Hüftmuskeln (zum Beispiel den Piriformis, der arge Beschwerden machen kann) und Muskelanteile des Gesäßes (Gluteus medius und minimus). Der eigentliche Beckenboden, der Levator Ani, wird durch diese Einengung geschwächt. Informelle Beobachtung in meinen 16 Jahren Beckenbodenarbeit hat unter den Stöckelschuhträgerinnen sehr viel mehr Inkontinenzen, Arthrosen, Fußdeformationen ausgemacht als unter den Flachschuhgängerinnen. (Ja, zu deformierten Füßen gehört immer auch ein erschlaffter Beckenboden. Dazu komme ich später ausführlich.)
Die Entdeckung des wahren Beckenbodens
Kegel-Übungen trainierten und trainieren isoliert die Schließmuskeln, die Vagina und Darm nach Bedarf schließen und öffnen. Sie sind wichtig, nur haben sie mit dem BeckenBODEN wenig zu tun. Diesen wahrhaften BeckenBODEN spürte ich erst, als ich da auf dem Rücken lag und Dr. Larsen mich dazu brachte, meine Sitzbeinhöcker zu orten und zu bewegen. Er setzte seine Finger auf die Knochen am unteren Beckenrand und wies mich an: »Zieh meine Finger zusammen.« Hm. Wer. Wie. Was. Wo. Er bewegte die Finger näher zueinander, immer und immer wieder, geduldig wie sonst nur meine Schutzengel, da, jetzt, aha, halt, Moment mal, ja, ja, ja – ich spürte ein Muskelzucken, und ließ es nicht mehr los, bis auf den heutigen Tag. An diesem Nachmittag unter Christians bestimmten Ärztehänden war es ein zweidimensionales Zusammenziehen und Loslassen der Sitzbeinhöcker.
Noch am gleichen Abend nahm ich die Bewegung vor dem Einschlafen wieder auf, spürte den Muskeln nach, die sich dadurch aktivierten, spürte, wie ich »es« ausdehnen konnte, hinten zum Kreuzbein, vorne bis zum Bauch, spürte, wie ich es verstärken konnte, abschwächen, beide Sitzbeinhöcker gleichzeitig, jeden Sitzbeinhöcker einzeln. Die Knochenhöcker wurden immer beweglicher, ich konnte sie auch lang ziehen, einziehen, ausdrehen. Vor allem auf der rechten Körperseite tat sich Dramatisches: Ich spürte, wie sich die rechte Seite des Beckens bewegte, wie sich das Kreuzbeingelenk öffnete und schloss, wie sich das chronisch arthrotische rechte Hüftgelenk veränderte. Wie plötzlich, von einer Sekunde auf die andere, der Schmerz wegging. (Ach, übrigens, Jane Fonda hat seit Jahren ein künstliches Hüftgelenk und musste sich mehrfach Knieoperationen unterziehen. Ich hätte sie gerne davor bewahrt.)
Von Henri Nannen, dem legendären Journalisten und Stern-Verleger, ist der Satz überliefert: »Ich bin ein Mensch, der wenig weiß und vieles kann.« Der Satz könnte von mir stammen. Ich habe noch nicht mal einen richtigen Schulabschluss, aber ich kann präzise beobachten und logisch folgern (Sie erinnern sich an den Tigerhai aus Kapitel eins). Mir war an diesem Abend klar, was durch das stundenlange Experimentieren mit den Sitzbeinhöckern passiert war: Ich hatte meine Beckenknochen neu sortiert, hatte die von Arthrose befallenen Gelenkteile so auseinanderbewegt, dass die Knochen nicht mehr aneinander rieben, sondern Raum hatten. Ich hatte in meinem Rumpf einen tragfähigen Bauchboden eingezogen.
Um diese köstliche Entdeckung, die den Unterschied machte zwischen Dauerschmerz und Wohlsein, über Nacht nicht zu vergessen, »pulsierte« ich noch ein paar tausend Mal mit den Sitzbeinhöckern – so taufte ich das in derselben Nacht, und so fühlte es sich auch an, wie ein Pulsieren tief im Innern meines Beckens -, schlief kurz ein, erwachte und spürte, wie der Körper ein neues Eigenleben probte, wie er die Knochen neu sortierte und mit Muskeln pulsierte, von denen ich am Vortag noch nicht gewusst hatte, dass sie überhaupt da sind. Am nächsten Morgen hatte ich wieder Schmerzen. Unbekannte. Neue. Aufregende. Schmerzen, die ich sofort als Wohlschmerz identifizieren konnte, als Freundschmerz: Ich hatte zwischen den Beinen und tief unter den Gesäßmuskeln und hinten an den Oberschenkeln Muskelkater. Den Muskelkater meines Lebens. Erst flatterten meine Beine haltlos mit den Schritten, wie bei einem neugeborenen Kamel. Doch meine klugen, neu erwachten Muskeln retteten mich. Sie zogen das Becken unten schmal zusammen, das gab die Gelenke frei, die Beine fanden ihre Achse.
Ich ging ins Studio und probierte mit den Teamkolleginnen und -kollegen aus,
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