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Cécile

Cécile

Titel: Cécile Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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Älteren ist, der nicht mit Herwegh für den ›Flügelschlag der freien Seele‹ geschwärmt hätte. Wie gut das klingt. Aber haben wir diesen Flügelschlag? Haben wir diese freie Seele? Nein, und wieder nein. Wir sind weiter davon ab denn je. Was wir haben, heißt Omnipotenz. Nicht die des Staates, die nicht nur hinzunehmen, die sogar zu rühmen, ja die das einzig Richtige wäre, nein, wir haben die Omnipotenz eines einzelnen. Ich nenne keinen Namen. Aber soviel bleibt: Übergriffe sind zu verzeichnen, Übergriffe nach allen Seiten hin, und soviel Übergriffe, soviel Fehlgriffe. Freilich, wer diesen Dingen, direkt oder indirekt, durch Jahrzehnte hin nahegestanden hat, der sah es kommen, dem blutete seit lange das Herz über ein System des Feilschens und kleiner Behandlung großer Fragen. Und wo die Wurzel? womit begann es? Es begann, als man, Arnims kluge Worte mißachtend, einen Hochverräter aus ihm stempeln wollte, bloß weil ein Brief und ein Rohrstuhl fehlte. Was aber fehlte, war kein Brief und kein Rohrstuhl, sondern einfach Unterwerfung. Daran gebricht es. Arnim hatte den Mut seiner Meinung, das war alles, das war sein Verbrechen, das allein. Aber wenn es erst dahin gekommen ist, meine Herren, daß jede freie Meinung im Lande Preußen Hochverrat bedeutet, so sind wir alle Hochverräter, alle samt und sonders. Ein Wunder, daß Falk mit einem blauen Auge davongekommen ist, er, der einzige, der den Blick für die Notlage des Landes hatte, der einzige, der retten konnte. Nach Canossa gehen wir
nicht
! O nein, wir gehn nicht, aber wir laufen, wir rennen und jagen dem Ziele zu und überliefern, einer beliebigen und beständig wechselnden Tagesfrage zuliebe, die große Lebensfrage des Staats an unseren Todfeind. Die große Lebensfrage des Staats aber ist unsere protestantische Freiheit, die Freiheit der Geister!«
    Die Baronin war hingerissen und steigerte sich bis zu Kußhändchen. »Ihr Wohl, Herr Geheimrat! Ihr Wohl, und die Freiheit der Geister!«
    Einige der Zunächstsitzenden schlossen sich an, und sehr wahrscheinlich, daß sich ein allgemeiner Toast daraus entwickelt hätte, wenn nicht der alte General ziemlich unvermittelt dazwischengefahren wäre. Der Beginn seiner Rede verfiel zwar dem Schicksal, überhört zu werden, aber mehr ärgerlich als verlegen darüber, nahm er schließlich seine ganze Stimmkraft zusammen und ruhte nicht eher, als bis er sich mit Gewalt Gehör verschafft hatte: »Sie sprechen da von der Freiheit der Geister, mein lieber Hedemeyer. Nun ja, meinetwegen. Aber machen wir nicht mehr davon, als es wert ist. Wir sind unter uns« (ein Blick streifte Gordon), »ich
hoffe
, sagen zu können, wir sind unter uns, und so dürfen wir uns auch gestehen, die protestantische Freiheit der Geister ist eine Redensart.«
    »Erlauben Sie ...«, warf Hedemeyer dazwischen.
    »Ich bitte Sie, mich nicht unterbrechen zu wollen«, fuhr der alte General mit überlegener Miene fort. »Sie haben gesprochen, jetzt spreche
ich
. Ihr verflossener Falk, ich nenn ihn mit Vorbedacht
Ihren
Falk, hat es gut gemeint, darüber kann kein Zweifel sein. Aber pourquoi tant de bruit pour une omelette ...«
    Alles lachte, denn es traf sich, daß eine dicht mit Omelettschnitten garnierte Gemüseschüssel in eben diesem Augenblicke dem General präsentiert wurde.
    Dieser, sonst überaus empfindlich gegen derartige Zwischenfälle, nahm diesmal die ziemlich lang andauernde Heiterkeit mit gutem Humor auf und wiederholte, während er eine der Schnitten triumphierend in die Höh hielt: »Pour une omelette... Ja, wie viele Menschen, mein lieber Hedemeyer, glauben Sie denn bei dieser sogenannten Canossa-Frage wirklich interessiert? Sehr viele sind es nicht. Dafür bürge ich Ihnen. Auf Ehre. Manches sieht man denn doch auch, ohne gerade zum Kultus zu gehören oder, Pardon, gehört zu haben. Berlin hat dreißig protestantische Kirchen, und in jeder finden sich allsonntäglich ein paar hundert Menschen zusammen; ein paar mehr oder weniger, darauf kommt es nicht an. In der Melonenkirche habe ich einmal fünfe gezählt, und wenn es sehr kalt ist, sind es noch weniger. Und das, mein lieber Hedemeyer, ist genau das, was
ich
die protestantische Freiheit der Geister nenne. Wir können in die Kirche gehen und
nicht
in die Kirche gehen und jeder auf seine Façon selig werden. Ja, meine Freunde, so war es immer im Lande Preußen, und so wird es auch bleiben, trotz allem Canossa-Gerede. Das Interesse hält immer gleichen Schritt mit der Angst, und

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