Cevdet und seine Soehne
Leben einmischen als die viel näheren
Verwandten, die er in der Gegend hatte. Zeliha war arm und alleinstehend, und
dafür, dass sie Cevdet den Haushalt besorgte und für ihn kochte, durfte sie in
dem kleinen vierzimmrigen Holzhaus das Erdgeschoss bewohnen. Cevdet sah wieder
einmal, wie wohnlich sie sich dort eingerichtet hatte. »Wie soll ich sie nur
dazu bewegen, dass sie von mir wegzieht?« Nach der Heirat konnte sie nicht bei
ihm bleiben, denn in dem Eheleben, dass er sich ausmalte, war für eine solche
Frau kein Platz. So wie er sich die Sache vorstellte, musste er danach zum
Hauspersonal ein distanziertes Verhältnis haben, und eine Art
Mutter-Sohn-Beziehung ziemte sich da nicht mehr. Zeliha ahnte das wohl. Da sie
über die bevorstehende Heirat und den Umzug auf die andere Seite des Goldenen
Horns Bescheid wusste, war sie in letzter Zeit besonders eifrig um Cevdet
bemüht. Nun kam sie mit einem Teller in der Hand aus der Küche geeilt.
»Einen Kaffee brauchst du doch auch,
Junge. Warte, ich –«
»Ich habe wirklich keine Zeit!«
unterbrach Cevdet sie. Lächelnd nahm er das Marmeladenbrot vom Teller, das ihn
anstrahlte wie der junge Tag. Er lächelte auch wieder, als er der Frau dafür
dankte. Beim Hinausgehen aber wurde ihm schmerzlich bewusst, dass es kein
liebevolles Lächeln war, sondern ein mitleidiges, weil er sich von der Frau ja
trennen musste. Um nicht grußlos zu gehen, drehte er sich noch einmal um und
sagte: »Es kann spät werden heute abend«, aber sein Gewissen wurde dadurch
nicht leichter.
Als er auf das Coupé zuging, fiel
ihm der Traum wieder ein: »Ich bin eben anders als die anderen, aber keiner
bestraft mich dafür!« Das brachte ihn wieder ins Lot. Kaum aber erblickte er
den Kutscher, war es um seine gute Laune schon wieder geschehen. Wie alle
Kutscher, die über das Privatleben ihrer Kunden gut auf dem laufenden sind, sah
der Kerl ihn nämlich an, als wollte er sagen: »Tja, Freundchen, ich weiß ganz
genau, was du den ganzen Tag so treibst und was in dir vorgeht!« Cevdet
lächelte auch ihn an und fragte ihn nach seinem Befinden. Dann hieß er ihn in
sein Geschäft in Sirkeci fahren, setzte sich in die Kutsche und biss in sein Marmeladenbrot.
Das Coupé rüttelte zwischen den
Holzhäusern von Vefa hindurch. Das Fahrzeug, das in so einem Viertel ganz
besonders auffiel, hatte Cevdet für drei Monate angemietet, da es ihm für die
Verlobungs- und die Hochzeitsfeier standesgemäß erschien. Als er zwei Monate
zuvor erfahren hatte, dass Şükrü
Paşa einwilligte, ihm
die Hand seiner Tochter zu geben, war er sogleich nach Feriköy geeilt, wo so
stattliche Kutschen vermietet wurden, und mit einem Vermieter über drei Monate
handelseinig geworden. Beim Haus des Papas wollte er nicht mit einer
gewöhnlichen Mietskutsche vorfahren, aber der Kauf eines Coupés war mit seinen
kaufmännischen Grundsätzen nicht zu vereinbaren, denn zusammen mit der
Entlohnung des Kutschers und den Stallkosten hätte er sich übernommen. Er biss
wieder von seinem Brot ab. Er liebte Marmelade. »Aber diesen Wagen hier länger
als drei Monate zu behalten wäre auch verrückt!« dachte er. »Bei der Miete!
Langfristig wäre ein Kauf natürlich doch besser … Aber dann müsste ich mich
bei den Ausgaben im Laden einschränken. Was soll ich also tun? Diese Hochzeit
kommt mich teuer zu stehen, aber das ist nun mal alles notwendig.« Er blühte
wieder auf bei dem Gedanken an seine Heirat, an das neue Leben, von dem er
jahrelang geträumt hatte, an das Haus, das er kaufen würde, an die nun zu
gründende Familie und an seine Verlobte, deren Gesicht er erst zweimal gesehen
hatte. Ihm kam zwar in den Sinn, dass viele der Passanten ihn wohl verachteten,
weil er mit einem so protzigen Gefährt unterwegs war, aber seiner guten Laune
tat das keinen Abbruch. Wieder biss er in sein Brot. »Wenn mich so etwas
bekümmern würde, wäre ich doch erst gar nicht Kaufmann geworden!« dachte er.
»Und weil sie eben vor derlei zurückschrecken, trauen sich Muslime nicht,
Handel zu treiben … Aber ich bin anders! Hm, und wenn meine Frau nun eine
solche Kutsche will?« Wieder dachte er voller Genugtuung an seine Verlobte und
an sein künftiges Leben. Es gefiel ihm, Nigân, die er doch erst zweimal gesehen
hatte, in Gedanken als seine Frau zu bezeichnen. Der Weg führte nun abwärts,
und sanft schaukelte die Kutsche hin und her. »Wenn mein Geschäft das hergibt,
dann kaufe ich eben eine Kutsche, Liebling!« murmelte er und stopfte sich
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