Cevdet und seine Soehne
Kurz vor Eskinazis Laden rief ihm einer der
vorwiegend jüdischen und griechischen Kaufleute aus seinem Geschäft heraus zu:
»Oh, LampenCevdet! Wie elegant Sie heute sind!«
Um zu zeigen, dass er Sinn für Humor
hatte, gab Cevdet zurück: »Elegant bin ich doch immer!« Errötend fiel ihm dann
aber ein, warum er sich so feingemacht hatte.
Kaum hatte er den Laden betreten, in
dem Eskinazi Baumaterial und Haushaltsartikel verkaufte, erkannte er an der
legeren Atmosphäre und der Unbekümmertheit der Lehrlinge, dass der Chef nicht
anwesend war, und er ärgerte sich. Einer der Lehrlinge erklärte ihm, wegen
Nebels habe der Stadtdampfer von den Prinzeninseln her Verspätung. Cevdet fiel
wieder ein, dass Eskinazi die Sommermonate auf Büyükada verbrachte. Er seufzte.
Zwischen all den jüdischen, griechischen und armenischen Händlern fühlte er
sich doch manchmal mutterseelenallein.
Er beschloss, nicht auf dem gleichen
Weg zurückzugehen, sondern über die Hauptstraße. Die Betriebsamkeit dort würde
ihn auf andere Gedanken bringen. »Dieses Außenseitertum setzt mir doch manchmal
zu! Wie viele Muslime gibt es denn schon, die es so wie ich zum wohlhabenden
Kaufmann gebracht haben? In ganz Sirkeci und Mahmutpaşa gibt es außer
meinem Laden gerade mal das Stoffgeschäft von diesen Leuten aus Saloniki, den
neuen Laden von Fuat und die Apotheke von Ethem Pertev. Und der erfolgreichste
davon bin ich. Ich stehe allein da.« Er schwitzte in seiner warmen Kleidung.
»In dem Traum war es genauso. Ich gegen alle anderen. Und meine Stirn war ganz
nass.« Vergeblich kramte er nach einem Taschentuch. »Na ja, um so etwas wird
sich bald meine Frau kümmern!« sinnierte er, doch selbst der Gedanke an seine
Heirat und sein künftiges Familienleben war ihm jetzt kein rechter Trost. »Was
habe ich getan, um so ganz anders zu sein als die anderen? Ich habe gearbeitet.
Ständig gearbeitet, ohne an etwas anderes zu denken, mit nichts anderes im Sinn
als der Vergrößerung meines Geschäfts!« Erfreut sah er an einer Ecke einen
Saftverkäufer. »Und der Erfolg hat mir recht gegeben …« Er ließ sich ein Glas
Saft geben und trank es hastig aus. Das tat ihm gut. Es war doch alles nur wegen
dieser fürchterlichen Hitze. Da sprach ihn jemand an.
»Na, Cevdet, wie geht’s denn so?«
Es war Doktor Tarık, ein Freund seines
Bruders aus der Zeit der militärischen Medizinhochschule. Wie alle Freunde
seines Bruders hatte er Cevdet wegen der großen Ähnlichkeit zuerst mit Nusret
verwechselt und sah nun eher enttäuscht drein. Er fragte Cevdet nach seinem
Bruder; ob er denn genesen sei von seiner Krankheit. Nachdem er erfahren hatte,
was ihn interessierte, sagte er mit unverhohlen herablassendem Lächeln: »Und
was treibst du so? Immer noch Kaufmann, was?« Und mit einem hingeworfenen
Abschiedsgruß verschwand er in dem Menschengewimmel von Sirkeci.
»Kaufmann! Ja, Kaufmann!« dachte
Cevdet und ging weiter in Richtung Laden. »Was hätte ich denn sonst machen
sollen? Militärarzt so wie er konnte ich ja nicht werden …« Er erinnerte sich
an seine Kindheit und seine frühe Jugend. Sein Vater war ein kleiner Beamter in
Kula gewesen. Cevdet hatte die Knabenschule besucht, von der er in der Nacht
geträumt hatte. Dann wurde der Vater nach Akhisar versetzt, ein wegen seiner
Lage an der Eisenbahn aufblühendes Städtchen. Dort ging Cevdet auf die höhere
Schule. Den Sommer über trieb er sich allein in den Gärten herum, in denen
kernlose Weintrauben und Feigen angebaut wurden. Die Lehrer sagten, sowohl
Cevdet als auch Nusret seien sehr begabt. Ihr Vater Osman führte das auf die
Intelligenz der Mutter zurück. Er liebte seine kluge Frau sehr, und als sie
schwer erkrankte, ersuchte er wegen der besseren Behandlungsmöglichkeiten um
eine Versetzung nach Istanbul. Dem Gesuch wurde nicht stattgegeben, worauf der
Vater den Dienst quittierte und mit der Familie nach Istanbul zog. Er brachte
seine Frau in einem Krankenhaus unter und machte in Haseki eine Holzhandlung
auf. Ein Jahr später ging Nusret auf die militärische Medizinhochschule, und so
musste ein halbes Jahr darauf, als nicht die Mutter, sondern der Vater
plötzlich starb, Cevdet sich sowohl um die Holzhandlung als auch um die immer
noch kranke Mutter kümmern. Bis zu seinem zwanzigsten Lebensjahr betrieb er das
Holzgeschäft weiter in Haseki, dann verlegte er sein Lager nach Aksaray, wo er
mit Fünfundzwanzig ein kleines Eisenwarengeschäft eröffnete, mit dem er ein
Jahr später nach
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