Charles Dickens
Wortführer einer neuen Richtung in der Literaturkritik auftrat und von der Literatur in erster Linie Seriosität verlangte, wollte Dickens anfangs gar nicht in
The Great Tradition
(so der Titel seines Buches über die «große Tradition» des englischen Romans) aufnehmen. Erst in einem Nachtrag entschloss er sich, wenigstens
Hard Times
diesen hohen Rang zuzuerkennen. Die Mehrzahl der Dickens-Kritiker sieht den Roman aber doch im Schatten jener Werke, die einesubtilere Symbolik aufweisen und außerdem auch noch das Markenzeichen des Dickensschen Humors tragen.
Obwohl der Roman einen konkreteren Realitätsbezug hat als die übrigen, deren skurril-groteske Welt oft Züge des Märchenhaften trägt, dürfte er für heutige Leser weniger interessant sein, da die damals aktuellen Probleme inzwischen ihre Brisanz verloren haben. Dickens’ Klage über die Entfremdung in der Industriegesellschaft ist zwar immer noch zutreffend, doch dass er die Wurzel des Übels im Utilitarismus sieht, nimmt seiner Diagnose die Schärfe. Vielleicht wäre seine Kritik differenzierter ausgefallen, wenn der große Liberale John Stuart Mill, der den Utilitarismus-Begriff bereits 1823 in Umlauf gesetzt hatte, seinen programmatischen Aufsatz
Utilitarianism
von 1861 schon acht Jahre früher publiziert hätte, so dass Dickens ihn vor Beginn der Arbeit am Roman hätte lesen können. Dort hätte er vieles gefunden, was sich mit seinen eigenen Vorstellungen deckte und was nichts mit Gradgrinds Philosophie gemein hatte.
Um seine These so schlüssig wie möglich zu exemplifizieren, hat Dickens sie allzu schematisch dargestellt, so dass manches, was in den größeren Romanen in kontrapunktischen Handlungssträngen und suggestiven Bildmotiven erscheint, hier nur angedeutet wird. So gehört beispielsweise James Harthouse dem schon mehrfach erwähnten Typ der zwischen Zynismus und Dandytum schwankenden Menschen an, die von Dickens als Treibende beschrieben werden. Als solcher wird er dem Symbolbereich des Wassers zugeordnet, wenn es mit Bezug auf ihn heißt, dass es «die treibenden Eisberge» seien, «die sich von jeder Strömung davontragen lassen und so zu Schiffbrüchen führen».
Bei aller Thesenhaftigkeit hat der Roman dennoch poetische Substanz. Wenn man sich erinnert, dass Kafka seinen ersten Romanversuch
Der Verschollene
, dessen Fragment posthum zunächst unter dem Titel
Amerika
publiziert wurde, in seinem Tagebuch als «glatte Dickensnachahmung» bezeichnete, macht das umgekehrt aus Dickens einen Vorläufer Kafkas. Die Utopie des «Naturtheaters von Oklahoma», die Kafka in seinem Fragment der Welt des Kommerzes und der Industrie gegenüberstellt, hat dort die gleiche Bedeutung wie der Zirkus in
Harte Zeiten
. Das sollte den Leser zögern lassen, «Slearys Pferdezirkus» als Sozialromantik abzutun. Übrigens hat Kafkas Held Dickens’ Vornamen Karl und den Nachnamen Rossmann, also ‹Pferdemann›.
Midlife-Krise
1855 bis Juli 1857
Spätestens nach der Geburt des zehnten Kindes muss eine Krise in Dickens’ Ehe eingetreten sein. Dass keine weiteren Kinder geboren wurden, während vorher zehn Schwangerschaften und zwei Fehlgeburten in kurzen Abständen aufeinander folgten, deutet auf ein Ende des Liebeslebens hin. Es wurde bereits erwähnt, dass sich Dickens in Briefen und Äußerungen gegenüber Freunden ironisch über die Fruchtbarkeit seiner Frau beklagte, als hätte er selber mit ihren Schwangerschaften nichts zu tun. Bei Edwards Geburt war Dickens selber erst 40, seine Frau 38 Jahre alt, beide also in den besten Jahren. Auf einem Porträt von Daniel Maclise aus dem Jahr 1847 erscheint die damals 32-Jährige als attraktive junge Frau, während sie fünf bis sieben Jahre später (die Datierung ist nicht gesichert) auf einer Daguerreotypie bereits eine gealterte Matrone ist. In einem Brief aus dem Jahr 1853, der 1990 in einem Antiquariatskatalog entdeckt wurde, beschreibt der Zeitgenosse William Moy Thomas sie ungalant als eine «stattliche fette Lady mit üppigen Armen so dick wie die Oberschenkel eines Rettungsschwimmers und so rotgesichtig wie eine Rindfleischwurst». Auch Dickens selber erwähnte in dieser Zeit Freunden gegenüber wiederholt ihre zunehmende Körperfülle.
Warum hatte die attraktive Frau sich bis Ende Dreißig so verändert? Dass das Leben an der Seite dieses Mannes für keine Frau ein reines Vergnügen sein konnte, ist offensichtlich; erst recht nicht für Catherine, die mit ihrem passiven Naturell dem Tempo ihres
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