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Charles Dickens

Charles Dickens

Titel: Charles Dickens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Dieter Gelfert
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Mannes nur schwer folgen konnte. Es gibt keine Zeugnisse, aus denen hervorgeht, dass sie sich als bloße Gebärmaschine missbraucht fühlte. Und da auch sie aus bescheidenen Verhältnissen kam, wird sie den sozialen Status, den ihr Mann ihr verschaffte, sicher geschätzt haben. Die Nervenkrisenach der Geburt Doras legt aber die Vermutung nahe, dass sie, nachdem sie jahrelang das hektische Leben pflichtbewusst mitgemacht hatte, in einen Zustand körperlicher und seelischer Erschöpfung geraten war, der durch das Bewusstsein von Unterlegenheit noch verschärft wurde, so dass sie sich resigniert aufgab.
    Georgina Hogarth (um 1850). Zeichnung von Augustus Egg.
    Es gibt kaum Zeugnisse, aus denen sich die allmähliche Entfremdung der Ehepartner rekonstruieren ließe. An früherer Stelle wurde gesagt, dass Dickens seiner Frau schon vor der Eheschließung klar zu verstehen gab, was er von ihr erwartete, nämlich dass sie seine Autorität anerkennen und ihm ein behagliches Heim bereiten solle. An den hausfraulichen Fähigkeiten scheint es von Anfang an gemangelt zu haben. Doch da Dickens schon früh genug Geld verdiente, um mehrere Bedienstete in seinem Haushalt anstellen zu können, blieben für seine Frau außer der Kindererziehung nicht allzu viele Pflichten. Seit 1842 lebte außerdem ihre 12 Jahre jüngere Schwester Georgina in ihrem Haushalt, die mit der Zeit in die Rolle einer kompetenten Haushälterin hineinwuchs. Anders als die früh verstorbene Mary war Georgina für Dickens offenbar ein unerotischer «Engel im Haus», von dem er aber uneingeschränkte Bewunderung und aufopferungsvollenDienst empfing. Beides wird er von der Mutter seiner zehn Kinder nicht in so engelhafter Form bekommen haben.
    Catherine Dickens (1852–1855). Daguerreotypie von John Jabez Edwin Mayall.
    Catherine mag die Hilfe der Schwester anfangs als Entlastung empfunden haben. Es ist aber gut vorstellbar, dass es sie zunehmend gekränkt hat, die Wertschätzung ihres Mannes für die Schwester ständig vor Augen zu haben und nicht die wirkliche Herrin in ihrem Haus zu sein. Vielleicht war das Kochbuch, das sie nach der Geburt ihres neunten Kindes schrieb, ein schwacher Versuch, sich gegen den übermächtigen Gatten mit einer Leistung zu behaupten, die nicht wie ihre Kinder als bloße Selbstverständlichkeit angesehen wurde.
    Auch in Dickens’ Situation kann man sich hineinversetzen. Als er Catherine heiratete, waren sie beide sozial gesehen fast gleichauf. Dann wurde er der literarische Superstar, während sie die Hausfrau und Mutter seiner Kinder blieb. Zu dieser wachsenden Kluft kam hinzu, dass sein Hunger nach Anerkennung, mit dem er das Ohnmachtsgefühl seines Kindheitstraumas kompensierte, von einer Mutter von zehn Kindernkaum zu stillen war. Lässt man die Frauen in seinen Romanen Revue passieren, so ist nicht zu übersehen, dass er eine Schwäche für Kindfrauen und sanfte, fürsorgliche Engel hatte. Starke Frauen zeigt er entweder als kalte, trotzige Schönheiten oder als geschlechtslose Wesen, die sich wie Männer verhalten. Auch in seinem realen Umfeld zogen ihn nur Kindfrauen an, während er mit gleichaltrigen zuweilen ostentative Flirts unterhielt, sie im Grunde aber wie Neutren behandelte.
    Was auch immer im Einzelnen geschehen sein mag, beide Ehepartner waren auf ihre Weise frustriert. Catherine fühlte sich vielleicht in ihrer Rolle als Hausfrau und Mutter nicht genügend geschätzt, und Dickens fand in ihr nicht mehr die Kindfrau, die er geheiratet hatte. Hinzu kam jetzt noch, dass Dickens auch von seinem Erstgeborenen in seinen Erwartungen enttäuscht wurde, wofür er, wie bereits erwähnt, seiner Frau die Schuld gab. Weitere Enttäuschungen durch seine Söhne sollten folgen. Alles deutet daraufhin, dass er in den 1850er Jahren in eine Midlife-Krise geriet.
    Typisch dafür ist die Veränderung in seinem Freundeskreis. Während er in seinen Anfangsjahren die Freundschaft und Gunst älterer Künstler und Literaten wie Landor, Carlyle, Macready und Francis Jeffrey suchte, zu denen er wie zu Vaterfiguren aufschaute, begann er jetzt, jüngere Freunde um sich zu scharen, denen er nun seinerseits als Vorbild, Lehrmeister und Vaterfigur gegenübertrat, während er gleichzeitig versuchte, mit ihrer Jugendlichkeit Schritt zu halten.
    Der erste und bald schon engste dieser jungen Freunde war der zwölf Jahre jüngere Wilkie Collins, der ihn auf seiner zweiten Italienreise begleitet hatte. Mit ihm unternahm er am 11. Februar 1855 erneut

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