Charmant und unwiderstehlich
hätte sie die Summe verdienen können, die du vorhin genannt hast.“ Sie spielte mit dem weichen Stoff ihres Kleides und blickte ihn wehmütig an. „Aber dann hat sie Gary getroffen. Das Leben mit Gary wurde ihr plötzlich wichtiger als alles andere auf der Welt. Leigh hat sich für eine kleinere, weniger renommierte Firma entschieden, um weniger arbeiten zu müssen. Und es gab nur einen einzigen Grund für Gary, eine eigene Kanzlei zu gründen. Er wollte mehr Zeit mit ihr verbringen. Sie waren glücklich.“
Melissa war noch nicht fertig. „Ich bin dabei, mein Geschäft wieder zu eröffnen.“ Sie zeigte auf die Scheunen.
„Und ich will die Gebäude umbauen lassen, damit ich dort meinen Antiquitätenhandel aufziehen kann. Ich habe dir mal davon erzählt. Ich werde hier bleiben und mein Baby auf dieser Farm aufwachsen lassen. Wahrscheinlich werde ich keine Reichtümer anhäufen können.
Oder aber mein Innenarchitekturbüro und der Möbelhandel werden besser florieren, als ich es mir in meinen kühnsten Träumen vorgestellt habe. Was auch immer geschehen mag, ich habe Erfolg, wenn mein Kind alles hat, was es braucht. Und wenn ich mich am Abend darauf freuen kann, dass ich am nächsten Morgen wieder aufstehen und arbeiten darf.“
Sie beobachtete, dass er einen schnellen Seitenblick auf die Scheune warf. Noch nie hatte sie so leidenschaftlich mit ihm gesprochen. Ihre Worte schienen ihr wirklich wichtig zu sein.
„Ich habe Gary immer für sehr erfolgreich gehalten“, fuhr sie fort, „weil er seine Arbeit mochte. Er und Leigh waren sehr, sehr glücklich miteinander. Das nenne ich Erfolg. Aber deine Familie hat ihm vorgeworfen, dass er komplett versagt hat.
Und dass er ein Dummkopf ist. Wenn ich mir überlege, was du vor ein paar Minuten gesagt hast, glaube ich fast, dass du genauso denkst.“ Brad ließ sich auf den Stuhl ihr gegenüber sinken und schüttelte den Kopf.
Natürlich hielt er seinen Bruder nicht für einen Versager oder einen Dummkopf.
Aber hatte er ihn vielleicht trotzdem so behandelt? Brad konnte sich an keinen Vorfall erinnern, aber wer weiß… Vielleicht hatte Gary sich deshalb entschlossen, sein Geheimnis für sich zu behalten. Hatte er vielleicht befürchtet, dass Brad ihn und Leigh dem Gespött der Leute preisgeben würde?
„Brad? Bist du glücklich?“ fragte Melissa und riss ihn aus seinen Gedanken.
„Weißt du überhaupt, was Glück ist?“
Unschlüssig zuckte er die Schultern. „Ein Maßstab für Erfolg, vermute ich. Einer unter vielen.“
Melissa schüttelte energisch den Kopf. „Nein. Für mich ist es der einzige Maßstab.
Und deshalb habe ich Probleme, dein Geld zu akzeptieren. Wenn ich nur einen Cent annehme, wirst du daraus das Recht ableiten, mir zu sagen, wie ich mein Kind zu erziehen habe. Ich weiß, dass Gary eine schreckliche Kindheit hinter sich hat. Keine Ahnung, wie du dich fühlst. Aber Gary hat gelitten wie ein Hund.“ Er brachte es nicht fertig, ihr seine Gefühle zu offenbaren. Sie verunsicherte ihn zu sehr. Ihre Macht über ihn war zu sehr angewachsen, obwohl sie es noch nicht einmal zu ahnen schien. Es fiel ihm sogar schwer, in ihrer Gegenwart einen vernünftigen Gedanken zu fassen.
Aber wenn er im Leben des Kindes eine Rolle spielen wollte, dann musste er sie auf seine Seite ziehen. Brad war überzeugt, dass sie ihn hasste. Also musste er einen Weg finden, ihre Auffassung zu ändern. Sie umschmeicheln. Ihr das Gefühl geben, dass er unersetzlich war. Und das war ihm bisher noch jedes Mal gelungen…
Er stand auf und schob den Stuhl an seinen Platz zurück. „Versprichst du mir, wenigstens mal darüber nachzudenken, welche Vorteile das Geld aus der Stiftung dem Kind verschaffen kann? Auf keinen Fall werde ich mich in die Erziehung einmischen.“
„Brad, ich bin nicht dumm. Ich weiß doch ganz genau, dass Geld nicht die Wurzel allen Übels ist. Wenn man etwas erreichen will, ist es ein wichtiges Hilfemittel, vorausgesetzt, es befindet sich in den richtigen Händen. Ich mache mir keine Sorgen wegen des Geldes, sondern wegen der Leute, von denen es stammt. Und ich bin mir nicht sicher, dass du dich wirklich aus der Erziehung raushältst. Auf keinen Fall möchte ich die kommenden achtzehn oder zwanzig Jahre damit verbringen, mich deines Einflusses auf mein Kind erwehren zu müssen.“
4. KAPITEL
Am nächsten Samstagmorgen wurde sie unsanft aus ihren Träumen gerissen.
Jemand polterte heftig auf ihrer Veranda herum. Oder hatte es
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