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Cheng

Cheng

Titel: Cheng Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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auch nichts. Das Hemd klebte am Rücken, und in den Schuhen spielten sich erste Verwesungsprozesse ab.
    Als einer der Assistenten Edlingers hatte er natürlich Anwesenheitspflicht. Gegen Partys war nichts zu sagen, aber er vertrug die Hitze nicht und haßte es, bei dreißig Grad in einem Kultursack zu stecken; er war der typische Träger kurzer Hosen.
    Ran hielt nach Barbara Ausschau. Die letzten Tage hatte er sich zu elend gefühlt. Sein nächtliches Erlebnis machte ihm zu schaffen. Natürlich würde er mit niemandem darüber reden, schon gar nicht mit Barbara, er war ja nicht verrückt. Zumindest noch nicht, dachte er wehleidig. Er sehnte sich nach Barbara, weil ihm nichts Besseres einfiel. Ihr dämlicher Beziehungskrieg würde ihn ablenken. Das war eben die Normalität, die er nun schmerzlich vermißte.
    Jemand tippte ihm auf die Schulter. Er wandte sich um und sah in das breite, rotwangige Gesicht des australischen Botschafters H.P. Thomson, dieses fürchterlich gesunden Menschen, der sich unentwegt auf den Bergen herumtrieb, österreichisches Wildwasser bepaddelte und im Winter auf Langlaufskiern die verschneiten Weiten des Landes durchmaß. Dabei war er ein kleiner, eher dicklicher Mann, ein unmäßiger Trinker, dessen Bewegungen auf die Schwerfälligkeit aller Diplomaten hinwiesen, aber er war ein begeisterter Landschaftssportler, der dieses Land großartig fand, geradezu das Land für einen Freiluftmenschen. Die Diplomatie begeisterte ihn weniger, aber das verlangte auch niemand. Er war für seine deftige Ausdrucksweise bekannt, vor allem wenn er getrunken hatte, und er hatte immer getrunken, weshalb alle froh waren, vor allem sein Attaché, wenn er auf den Banketten nicht erschien. Hin und wieder versicherte er dem Bundespräsidenten – in einem vom Sekretär des BP vorgeschriebenen Wortlaut –, daß er, der BP, auch in Australien ein bekannter und beliebter Mann sei (was natürlich eine glatte Lüge war, denn warum ausgerechnet in Australien, aber der BP … nun, sagen wir, er hatte den Bezug zur Realität verloren, und da war nun wirklich niemand, der daran etwas ändern konnte oder wollte).
    »Hallo H.P.«, sagte Ran, der auch aus Australien stammte, aber bereits vor eineinhalb Jahrzehnten als Zwanzigjähriger nach Österreich gekommen war. Eigentlich nur für ein Studienjahr, aber dann war er – ohne einen ersichtlichen Grund – geblieben. Die deutsche Sprache bereitete ihm fast keine Probleme, und er empfand bis zum heutigen Tage eine Art Triumphgefühl, der Fürsorge seiner Eltern entkommen zu sein.
    Ran und H.P. (den nur H.P. nennen durfte, wer wie er gerne kurze Hosen trug) hatten sich bei einer Bergwanderung in den Triebener Tauern kennengelernt und festgestellt, daß der eine ein Assistent, der andere ein Freund Edlingers war.
    »Also wirklich, Ranulph, altes Stinktier«, sagte H.P. und grinste sein Gesicht zu einer phänomenalen Breite, »von der Gräfin solltest du lieber die Finger lassen. Sicher, ich verstehe dich, das ist ja wirklich ein zuckersüßes Frauchen, und es wäre ja auch ewig schade, wenn so ein Prachtweib im Verlies eines katholischen Treuegelübdes verkommen würde. Andererseits, wenn Edlinger das herausbekommt, dann gnade dir Gott.«
    Ran sah H.P. verständnislos an. »Was ist los, H.P., hast du die Bar leer gesoffen, ich versteh’ kein Wort.«
    »Junge, ruhig Blut. Über meine Lippen kommt kein Wort. Auch wenn Edlinger mein Freund ist und ein Bundesgenosse im Alter, ich will nicht miterleben, wie er dir den Schädel spaltet. Also einmal ernstlich, Ranjunge: Daß du seine Alte vögelst, ehrlich, ich bin der erste, der das versteht, die Puritaner gehören ins Fegefeuer. Aber dann solltest du schon aufpassen, daß die Sache im Schließfach bleibt. Ich will dich nicht belehren, Junge, aber selbst wenn er darauf verzichtet, dich von irgendeinem Schlächter behandeln zu lassen, deinen Job verlierst du, und ich schwör’ dir, keiner wird dich nehmen. Nicht weil sie Edlinger lieben, da liebt keiner den anderen, ganz im Gegenteil, für die wirst du ein toller Bursche sein, weil du es dem Alten gezeigt hast, bloß wird dich keiner mehr anstellen wollen. Das nennen sie gelebte Solidarität. Ja, mein Junge, die alte Welt. Solange sie sich politisch nicht fertigmachen können, halten sie zusammen.«
    Ran schluckte. Und fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn.
    Da war wieder die Unsicherheit, die er aus Kindertagen kannte, die natürlich jeder aus Kindertagen kennt, dazu ist man

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