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Cheng

Cheng

Titel: Cheng Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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nicht ausufernde Diskussionen stattfanden, und der Reiz widersprüchlicher Positionen war bald der Frustration gewichen, die aus den täglichen ermüdenden Kleinkriegen resultierte.
    Inzwischen fand er sie nicht einmal mehr attraktiv, bemerkte die kleinste Abweichung von jenen Mustern, die man den Konsumenten wie Gußbeton ins Bewußtsein spritzt. Ihre sogenannten dicken Beine, ihre Fettzellenparanoia, ihr Orangenhautdebakel war da nur der Höhepunkt (dabei keine Spur von Zellulitis, in Wirklichkeit hatte sie ausgesprochen schlanke Beine). Übrigens verfügte sie über ein ausgeprägtes emanzipatorisches Bewußtsein, welches zwar nützlich war, was den politischen und philosophischen Diskurs betraf (und tatsächlich war sie so gut darin, daß sich Männer in ihrer Gegenwart gerne in eine traditionelle Unsachlichkeit flüchteten), aber wenig hilfreich angesichts makelloser Designerbeine, Bilder, die aus Hochglanzmagazinen auf das Leben der Untermenschen spuckten oder wie Reißzwecken in den Hirnen beider Geschlechter steckenblieben.
     
    Nach dem siebenten Läuten fluchte Ranulph Field und hob den Hörer ab. Sein »Ja« war böse und endgültig – okay, wenn sie es unbedingt wollte, dann würde er ihr sagen, daß sie tatsächlich dicke Beine habe oder vielleicht auch nur zu kurze, zumindest wenn sie flache Schuhe anhatte, egal, er würde zugeben, daß er es unerträglich fand, wenn sie ewig in ihrem Essen herumstocherte, sie, die unter keiner einzigen Allergie litt, so, als würden vom Herumstochern die Beine dünner.
    Aber die Stimme in der Leitung war nicht die von Barbara.
    »Herr Field?«
    Sein zweites »Ja« kam leer und erschöpft. Wahrscheinlich würde er nie wieder den Mumm besitzen auszusprechen, wie sehr ihm der Anblick ihrer Beine Übelkeit verursachte (worum es geht, das ist die Zellulitis in unseren Köpfen).
    »Hören Sie mich?« fragte die Stimme.
    »Ja, ich höre Sie. Was ist denn los? Wer sind Sie überhaupt?«
    Er vernahm ein Lachen, das ihn verrückt anmutete. Ran stöhnte.
    »Okay, gute Frau, wie Sie auch heißen mögen. Hier ist nicht die Telefonseelsorge. Genug gelacht für heute.«
    Was immer ihn davon abhielt aufzulegen, es hielt ihn ab.
    »Also, was wollen Sie?« fragte Ran.
    »Ich will sehen, wie Ihnen die Angst den Hintern hochkriecht.«
    »Oho.« Ran fühlte sich gleich viel besser, geradezu belustigt. Das war wohl so eine Art obszöner Anruf. Auf jeden Fall eine Inszenierung. Und weil niemand da war, der linksliberale Devotion einforderte, erlaubte er sich das Vergnügen und markierte den harten Mann. »Unbefriedigt, Kleine, was? Kannst ja vorbeikommen. Ich werde dir zeigen, wo Gott wohnt.«
    »Und ob ich vorbeikommen werde. Immer wieder. Aber es wird anders sein, als du dir jetzt denkst.«
    Sie hatte aufgelegt. Ran war unzufrieden. Er war kaum dazugekommen, den Tiger aus seinem Herzen zu lassen. Erneut überlegte er, wie das wäre, Barbara anzurufen und nach all den Jahren seine Verachtung herauszubrüllen, diesen ganzen Dicke-Beine-Salat, der in der alten Marinade wie Seetang trieb. Aber natürlich würde er das am nächsten Tag schrecklich bereuen, denn ganz gleich, ob sie sich wieder versöhnten oder endgültig trennten, sie arbeiteten am selben Institut, und er würde sich ewig anhören müssen, was für ein primitiver Kerl er sei. Und jede verdammte Freundin Barbaras, jede sogenannte Freundin, würde ihn schneiden, nur um dieses unbedingte Solidaritätstheater aufrechtzuerhalten.
    Nein, er mußte darauf warten, daß sie als erste ausfällig wurde. Es war wie das Spiel, bei dem der gewinnt, der dem anderen, ohne zu lachen, länger in die Augen sehen kann.
     
    Bevor es dunkel wurde, ging er noch in einen nahegelegenen Park joggen (was ihm immer weniger Freude machte, dieses Den-eigenen-Körper-Spüren, denn was er da spürte, erinnerte ihn an faules Obst oder an diese Aufläufe, die in viel zuviel Sauce schwammen). Danach duschte er, schob eine halbe Pizza Richtung Verdauung und legte sich mit Zigaretten, Wein und Wertheimers Experimentelle Studien über das Sehen von Bewegungen aufs Bett. Sein Kater Batman (eitel, selbstherrlich, dominant und unwiderstehlich wie alle Katzen) hatte sich zwischen seine Beine gerollt.
    Ran war eingeschlafen. Gegen zwei in der Nacht schrak er auf.
    Aus dem Nebenzimmer, in dessen fensterabgewandten Teil er durch eine offene Flügeltür sah, kam ein kurzes, metallisches Geräusch. Ran war kein ängstlicher Mensch, sondern Naturwissenschaftler und folglich

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