Chiara Fontana - Das Möbiusband (German Edition)
winzigen schwarzen Punkten. Seine Ohren spitzten sich zu, in seinem Gesicht änderte sich nichts, nur war der Ausdruck plötzlich katzenhaft. Sie hatte Katzen immer gemocht. Diese nicht.
„Das kannst du nicht wissen!“ brüllte er außer sich vor Verwirrung und Zorn. „Das kannst du nicht wissen! Niemand kann das wissen!“
„Fred Miller“, sagte Chiara. Auch das, ohne es bewusst zu wollen. Es war der Name des sterbenden Mannes, der sich im holzverkleideten Zimmer wie eine Zwiebel aus dem leeren Raum geschält hatte.
„Fred Miller ist tot!“ heulte Donahue/Lynx. „Du hast ihn nicht gekannt! Du kennst ihn nicht!“
„Ich habe ihn sterben sehen. Du warst nicht dabei. Aber du hast ihn verraten.“
Vanetti saß nun aufrecht im Hintergrund und verfolgte die Szene mit eulenhaft großen Augen.
„Woher?“ stammelte Lynx/Donahue. „Woher weißt du das?“
„Sieht nicht ein jeder irgendwann, was irgendwer einmal gesehen hat?“
Der A-Grav in ihren Händen schien zu vibrieren. Oder zitterten nur ihre Hände? Sie fügte ihrer Frage nichts hinzu. Es war egal.
Schneller als jede Katze jemals gewesen war, zog Lynx seine Pistole. Und noch schneller, noch bevor er die Chance hatte, sie abzufeuern, klatschte der A-Grav ihn an die Decke. So hart, dass die Waffe in das Flaschenregal hinter der Theke geschleudert wurde und dort in einigen klebrigen Likörsorten ertrank. Lynx/Donahue stürzte schwer zu Boden. Doch noch im Fallen hielt er in jeder Hand ein spitzes Messer und im Moment des Aufpralls wirbelte er zur Seite und stand wieder auf seinen Füßen. Chiara schleuderte ihn gegen die Wand. Er rollte sich ab und sprang auf sie zu. Sie schleuderte ihn gegen die andere Wand. Ließ ihn gar nicht mehr auf den Boden fallen. Hin, her. Hin, her. Her, hin, her. Von einer Wand zur anderen. Dann lag er da und blieb benommen liegen. Er hätte bewusstlos sein müssen, schwer verletzt von den Schlägen des A-Gravs, aber so wirkte er nicht. Er hob den Kopf und starrte sie an. In seinem Blick loderte so viel Hass, Gewalttätigkeit, Bosheit und eiserne Härte, dass Chiara erstmals in ihrem Leben begriff, wie menschliche Abgründe aussehen. Bislang hatte sie sich dabei eher abstrakt an Diktatoren, Massenmördern, gewissen Monarchen, Päpsten und ähnlichen Typen orientiert. Das Böse in Lynx übertraf jede abstrakte Vorstellung, es war konkret, fast mit Händen zu greifen, überwältigend.
Vanetti erkannte es auch. Er rief, „Halt ihn fest damit. Pick‘ ihn an die Decke.“
Chiara versuchte es - aber der A-Grav verweigerte sich. Auf seiner Oberfläche tanzte ein wildes, eindeutig hysterisches Lichtmuster in allen Farben und Formen.
„Er macht nicht, was ich will!“
„Sollen wir ihn fesseln?“ schrie Vanetti.
Lynx röchelte noch halb benommen, doch die Messer in seinen Händen richteten sich auf.
„Komm!“ rief Chiara.
Sie zerrte den entsetzten Vanetti aus der Hütte und warf die Tür zu. Sie ließ das massive Metallband einrasten und hängte das Vorhängeschloss in den Bügel. Vanetti stand da, hielt die Unterarme im rechten Winkel nach vorne und schwenkte seine Hände hilflos nach rechts und links wie ein altmodisches Verkehrszeichen.
„Was ist?“ blaffte sie ihn an. „Willst du abheben? Er wird uns töten!“
Chiara nahm seine Hand und riss ihn mit sich. In der anderen hielt sie den A-Grav, der wieder sein Mondlichtwesen angenommen hatte, als ob nichts geschehen wäre. Im Übrigen wirkte er verschlossen wie eine Muschel. Sie rannten den Pfad entlang. 100 Schritte, 200. Da hörten sie Glas splittern. Es feuerte sie an wie ein zusätzlicher Adrenalinstoß. Weg! Nichts wie weg!
Wenn sie das Auto erreichten, bekämen sie eine Chance. Aber der Schlüssel, den Chiara in ihre Jackentasche gesteckt hatte, war nicht mehr da. Lynx!
„Wir laufen auf die Straße“, rief Vanetti in höchster Panik. „Irgendwer wird uns mitnehmen.“
„Er ist in ein paar Sekunden hier. Wir müssen verschwinden.“
„Wohin?“
„Er hat gesagt, da liegen Boote im Hafen.“
„Oh Gott! Was werden da für Boote liegen? Um diese Jahreszeit!“
„Wenn er sagt, da liegen Boote, dann meint er richtige Boote. Hast du es vergessen? Gläserne Menschen, gläserne Häuser, gläserne Landschaften, gläserne Boote. Darauf bildet er sich etwas ein.“
Sie sah ein Fahrrad, das an einem Baum lehnte und lief hin. Es war so alt und klapprig, dass sein Eigentümer sich nicht die Mühe gemacht hatte, es abzusperren.
„Du fährst!“ herrschte
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