Chicagoland Vampires: Ein Biss zu viel (German Edition)
gewesen war, durch meine Todfeindin vor meinen Augen gepfählt worden war … ein Schicksal, das ihr durch meine Hand im Anschluss daran selbst widerfuhr.
Die poetische Schönheit dieses Moments, so widernatürlich sie auch erscheinen mochte, war mir durchaus bewusst, denn ich war früher Doktorandin der englischsprachigen Literatur gewesen.
Jonah, der Hauptmann der Wachen des Hauses Grey, war meine Verbindung zur Roten Garde, einer Geheimorganisation, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, die Vampirhäuser Amerikas und das Greenwich Presidium zu überwachen, jenes europäische Gremium, das die Häuser von der anderen Seite des großen Teichs kontrollierte.
Man hatte mir die Mitgliedschaft in der Roten Garde angeboten, und Jonah war der Partner, der mir in Aussicht gestellt worden war, hätte ich das Angebot angenommen. Das hatte ich jedoch nicht getan, aber er hatte mir freundlicherweise bei Problemen geholfen, mit denen aufgrund der Greenwich-Presidium-Politik selbst Ethan seine Schwierigkeiten gehabt hatte.
Jonah hatte sich nur zu gern als Ersatz für Ethan angeboten – in beruflicher und anderer Hinsicht. Die Nachrichten, die wir in den letzten Wochen ausgetauscht hatten – und der hoffnungsvolle Blick an diesem Abend –, bewiesen mir, dass er nicht nur am Lösen übernatürlicher Probleme ein Interesse hatte, sondern an ganz anderen Dingen.
Jonah sah sehr gut aus, das war nicht zu leugnen. Er war außerdem charmant. Und nicht nur das, er war großartig, auf seine ganz eigene, verschrobene und merkwürdige Art. Ehrlich, er hätte die Hauptrolle in einer Liebeskomödie spielen können, vermutlich sogar seiner eigenen. Aber ich war zu diesem Zeitpunkt nicht bereit, mir wieder Gedanken über meine Gefühle zu machen. Auch nicht in der nächsten Zeit, da war ich mir sicher. Mein Herz hatte momentan ganz andere Sorgen, denn seit Ethans Tod war es gebrochen.
Jonah musste mein Zögern bemerkt haben. Er lächelte mich freundlich an, zog dann seine Hand zurück und deutete auf den Abgrund.
»Erinnerst du dich, was ich dir zum Springen gesagt habe? Es ist dasselbe wie ein einfacher Schritt.«
Das hatte er mir ganz bestimmt gesagt. Zwei- oder dreimal schon. Ich nahm es ihm nur nicht ab. »Das ist ein ziemlich langer Schritt. Sehr lang, wenn du mich fragst.«
»Das ist er«, stimmte Jonah mir zu. »Aber nur der erste Schritt ist wirklich unangenehm. Dich im freien Fall zu befinden ist eins der großartigsten Erlebnisse, die du jemals haben wirst.«
»Besser als mit beiden Füßen auf festem Boden zu stehen?«
»Viel, viel besser. Es ist fast wie fliegen – nur dass wir es besser nach unten schaffen als nach oben. Das ist deine Chance, eine Superheldin zu sein.«
»Sie nennen mich doch schon die ›Schöne Rächerin‹«, brummte ich und schüttelte meinen langen dunklen Zopf. Die Chicago Sun-Times hatte mir den Titel »Schöne Rächerin« verliehen, als ich einer Formwandlerin während einer Schießerei in einer Bar geholfen hatte.
»Hat dir schon mal jemand gesagt, wie außerordentlich sarkastisch du klingst, wenn du Angst hast?«
»Du bist nicht der Erste«, gab ich zu. »Es tut mir leid. Es ist nur … Das hier macht mich wahnsinnig. Weder mein Körper noch eine einzige Zelle meines Gehirns halten es für eine gute Idee, von einem Gebäude herunterzuspringen.«
»Das wird schon. Die Tatsache, dass du davor Angst hast, ist der wesentliche Grund, warum du es tun solltest.«
Oder der wesentliche Grund, auf dem Absatz kehrtzumachen und nach Hyde Park zurückzukehren.
»Vertrau mir!«, sagte Jonah. »Du musst diese Fähigkeit unbedingt beherrschen. Malik und Kelley brauchen dich.«
Kelley war früher eine der Wachen des Hauses gewesen; nun war sie für alle Wachen Cadogans verantwortlich. Da wir bedauerlicherweise nur noch drei Vollzeitstellen bei den Wachen besetzt hielten (einschließlich Kelley) und eine als Hüterin, war das kein besonders großer Karrieresprung.
Malik hatte als Nummer Eins an Ethans Seite gedient und war seit dessen Tod Meister des Hauses. Die Investitur in sein Amt hatte stattgefunden, und das Haus war ihm anvertraut worden.
Ethans Tod hatte eine vampirische »Reise nach Jerusalem« zur Folge gehabt. Als Meister hatte Malik Washington das Recht wiedererlangt, seinen Familiennamen tragen zu dürfen. Nur die Meister der zwölf Vampirhäuser durften dies. Unglücklicherweise hatte Malik auch das katastrophale politische Erbe seines Vorgängers anzutreten, das das Haus seit Ethans
Weitere Kostenlose Bücher