Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Christianisierung und Reichsbildungen - Europa 700 - 1200

Christianisierung und Reichsbildungen - Europa 700 - 1200

Titel: Christianisierung und Reichsbildungen - Europa 700 - 1200 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
Vom Netzwerk:
formierte, erlebte die lateinische Kirche infolge der Auflösung des Weströmischen Reiches unter dem Druck der Barbaren empfindliche Einbußen und eine generelle Lockerung ihres Zusammenhalts. Weithin untergegangen ist das spätantike Christentum in den Donauländern, im Alpenvorland und im nördlichen Gallien sowie in Britannien. In den verbleibenden Gebieten bildeten sich gemäß den Grenzen der neu entstandenenReiche gesonderte Landeskirchen mit Bezug zum jeweiligen Königtum und eigener Synodaltradition, zu denen die Bischöfe von Rom, seit Mitte des 6. Jhs. unter byzantinischer Herrschaft stehend, nur noch sporadischen Kontakt hatten.
    Missionserfolge unter den Barbaren stellten sich schon seit dem 5. Jh. im keltischen Irland (außerhalb des Imperiums) ein, unter den Angelsachsen in Britannien seit 590 dank einer singulären Initiative Papst Gregors des Großen († 604) und bald in Konkurrenz zu irischen Glaubensboten, auf dem Kontinent an den Rändern des Frankenreiches durch einheimische Kräfte, die bis zum frühen 7. Jh. die Bischofssitze am Rhein wiederherstellten und dann auch weiter zu den Alemannen und Bajuwaren vordrangen. Doch wogen diese Zu- bzw. Rückgewinne vorerst leicht, gemessen an den schweren Verlusten, die im 7. Jh. die militärische Ausbreitung des Islams der Christenheit zufügte. Nach dem Orient und ganz Nordafrika erfaßte sie 711 auch den größten Teil der Iberischen Halbinsel, wo das Christentum zwar nicht völlig unterging, aber doch für lange Zeit in die Defensive geriet. Erst durch die arabische Expansion ist Europa zum räumlichen Schwerpunkt der christlichen Welt geworden, die neben dem geschrumpften Reich von Byzanz als Länder mit lateinisch-christlicher Prägung vorerst allein das fränkische Gallien und das langobardische Italien (mit Rom) sowie die Inseln Britannien und Irland umfaßte.
Kultur und Bildung
    Auch Kultur und Bildung folgten dem allgemeinen Duktus der Entwicklung zwischen Altertum und Mittelalter. Die geistige Welt der vordringenden Barbaren war von religiösen Vorstellungen, historischen Überlieferungen und rechtlichen Normen bestimmt, die allein mündlich weitergegeben wurden, somit keine dauerhaft feststehende Gestalt hatten und für uns höchstens indirekt erschließbar sind. Dagegen fußte die Schriftkultur der Griechen und Römer auf schulmäßig erworbenen Kenntnissen und Fertigkeiten, die auch in der Spätantike noch vielerorts öffentlich gelehrt wurden. Diese Schulen bestanden zumindest in Konstantinopel undanderen Zentren des oströmischen Reiches weiter und prägten ein starkes Traditionsbewußtsein der byzantinischen Gesellschaft. Sie gingen auch im Westen nicht sogleich mit dem Kaisertum unter, verloren aber in den Barbarenreichen mit der Zeit ihre herkömmliche Funktion, auf politische und literarische Tätigkeiten vorzubereiten. So kann man ein allmähliches Erlöschen der antiken Schule beobachten, das in Britannien und Afrika früher und nachhaltiger vonstatten ging als in Spanien, Gallien und Italien, aber auch dort im 7. Jh. zum Abschluß gekommen ist.
    Um 700 bestimmte im Westen längst die kirchliche Schule das Bild, die aus dem praktischen Bedürfnis erwachsen war, dem Nachwuchs in den Klöstern und dann dem allgemeinen Klerus das erforderliche Rüstzeug zum ordnungsgemäßen Vollzug des Gottesdienstes, zum Verständnis der christlichen Glaubensinhalte und zu deren Vermittlung an die illiteraten Laien zu verschaffen. Als eine Buchreligion war das Christentum (ebenso wie Judentum und Islam) stets auf zumindest elementare Lesefähigkeit seiner Diener angewiesen und wurde so zur entscheidenden Triebfeder für die Ausbreitung der Schriftkultur unter den barbarischen Völkern, die sich dem neuen Glauben zuwandten. Da der kühne Versuch des Gotenbischofs Wulfila († 383), die Bibel in seiner Muttersprache zu verschriftlichen, auf die heterodoxe Sonderkirche der Arianer beschränkt blieb, bedeutete die Übernahme christlicher Riten und Lehren regelmäßig die Hinwendung zur lateinischen Sprache, die über das geistliche Schrifttum hinaus potentiell auch den Zugang zum geistigen Erbe der Antike erschloß.
    Nirgends wurde das vom Mönchtum getragene kirchliche Schulwesen so früh fruchtbar wie im peripheren Irland und, davon ausgehend, in England. Unberührt von den Veränderungen des gesprochenen Lateins in Gallien, Italien und Spanien haben irische Lehrmeister des 7. Jhs. in ihrer keltischen Umgebung erstmals wieder die an klassischen

Weitere Kostenlose Bücher