Chronik der Silberelfen Bd. 1 - Zeit der Rebellen
heftig und heiß, dass mir schwindlig wird. Wir schreiben das Ende des sechzehnten Jahrhunderts, um Himmels willen! Wann wird diese Menschheit endlich bereit sein, sich weiterzuentwickeln?
Meine Finger umklammern die Armbrust. Ich spüre Conals Geist in meinem Kopf, beruhigend, besänftigend. So ist es gewesen, seit ich ein wild knurrendes Jungtier war und er mich gezähmt hat.
Murlainn. Kleiner Bruder. Verlier das Ziel nicht aus den Augen!
Conal, ich kann nicht zweimal schießen! Ich habe nicht genug Zeit!
Doch, hast du. Keine Angst.
Er dreht sich zu dem Mädchen um und kann ihm gerade noch einen flüchtigen Kuss auf den geschorenen Schädel hauchen, bevor man es wegzerrt und auf den Scheiterhaufen hievt.
Sie bedeutet uns nichts. Sie ist eine von denen!
Conal hebt fast unmerklich den Kopf, als würde er gern zu mir sehen und mir einen wahren Einblick in seinen Geist bieten. Ich sehe sein Lächeln aufblitzen.
Sie hat einen Namen, Seth.
Ich will das nicht hören. Ich will ihren verdammten Namen gar nicht wissen. Ich bin wegen Conal hier.
Catriona. Sie heißt Catriona.
In der trüben Dämmerung verfehlt sein Blick mich nur knapp und er lächelt schwach. Er weiß, dass ich es tun werde. Er muss es schon die ganze Zeit gewusst haben. Ich würde alles für ihn tun.
Er wird hinter dem Mädchen auf den Scheiterhaufen gezerrt und gemeinsam werden sie mit einem Seil an den Pfahl gebunden. Conal streckt die Finger aus, sodass seine Fingerspitzen die ihren berühren. Er redet wieder auf sie ein, aber ich bezweifle, dass sie ihn über den Lärm der grölenden Menge hinweg hören kann. Der blassäugige Priester tritt vor, das Gewand bauschig, eine schwarze Krähe, die auf Aas lauert. Es entgeht mir nicht, dass er in den langen Schatten der Hofmauer stehen bleibt. Lächelnd hebt er die Bibel.
Ganz ruhig, Seth. Und vergiss nicht: Halte die Hände still und beide Augen offen.
Conal, ic h …
Ich liebe dich, kleiner Bruder. Wir sehen uns wieder, versprochen.
Oh nein, wir werden uns nicht wiedersehen. Ich starre zu dem Priester hinunter, dessen Hasstiraden über die Schreie des Pöbels hinwegdröhnen. Jedenfalls nicht im Himmel dieses Teufels. Diesen Himmel gibt es nämlich nicht, niemals, und dieser Teufel wird nicht einmal eine Hölle finden, in die er hinabfahren kann, nachdem er schreiend unter meinen Händen gestorben ist.
Das ist mein Versprechen, Cù Chaorach.
Aber das lasse ich Conal nicht hören. Ich schirme diesen Gedanken vor ihm ab, denn er würde ihn nicht gutheißen, nicht einmal jetzt. Meine Hände sind inzwischen ruhig, mein kalter Hass ist also doch zu etwas nütze. Ich bin froh, dass die Zeit nicht ausreichen wird, um auch den Priester zu erschießen. Ein Bolzen mitten ins Herz wäre ein zu schneller Tod für ihn.
Ich liebe dich, Cù Chaorach. Es tut mir leid.
Gut, dass du da bist. Es gibt nichts, was dir leidtun sollte. Beeil dich.
Ich drehe mich auf den Bauch. Sie werden mich nicht entdecken, ich kann mir also Zeit lassen. Niemand sieht zu meinem Versteck herauf, niemand will auch nur einen Augenblick des großen Schauspiels verpassen. Wahrscheinlich werden sie in all dem Durcheinander eine Weile brauchen, um zu begreifen, was passiert ist. Ich hasse Armbruste, aber ich kann gut mit ihnen umgehen. Conal hat es mir beigebracht. Ich kann zwei Schüsse abfeuern. Ich kann schießen, laden, noch einmal schießen und dann immer noch verschwinden. Ja.
Ich richte meinen Blick aus und ziele. Das Mädchen zuerst, damit es nichts merkt, und damit Conal weiß, dass ich es getan habe, und zufrieden mit mir ist.
Und dann Conal. Mein Bruder, mein Freund, mein Anführer. Mein Vater in jeder Hinsicht, die jemals von Bedeutung war. Oh bitte, ihr nicht existierenden Götter, gebt mir die Kraft.
Zwei Männer treten hinter dem Priester hervor, die lodernden Fackeln in die Höhe gereckt.
Es ist so weit. Ich blinzele den Schweiß und die Tränen und das Grauen weg. Und als mein Finger sich um den Abzug krümmt, ist mein Geist ebenso kalt wie mein Herz.
Teil 1: Der Geist
1. Kapitel
K ümmere du dich um ihn.
Dies war die erste und letzte Unterhaltung, die meine Mutter mit meinem Vater je über mich geführt hat. Mein Vater war eher überrascht denn wütend, als der Abgesandte meiner Mutter auf seinen Hof ritt. Er führte ein Pony mit sich, auf dem ein trotziges Balg saß, und auf seinem Gesicht lag der Ausdruck vollkommener Erschöpfung. Drei Tage war der Mann mit mir geritten, und ich hatte dafür gesorgt,
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