Chronik der Silberelfen Bd. 1 - Zeit der Rebellen
hätte geboren werden sollen, führte ich ein gutes Leben.
Am ersten Tag des zwölften Monats auf dem Hof endete mein Dasein als Geist.
Wie ein Geschenk, sonnenbeschienen und träge, lagen die Stunden an jenem Sommertag vor mir. Still und stahlblau glitzerte der Moorse e – kein guter Tag zum Fische n –, aber ich hatte nichts Besseres zu tun. Gab es überhaupt etwas Besseres? Mir taten von der letzten Prügelei immer noch die Rippen weh, aber meine Nase blutete nicht mehr. An meinen Fingerknöcheln klebte das Blut meiner Gegner, unter meinen Nägeln ihre Hautfetzen, und ich hatte einem von ihnen einen Zahn abgerungen. Mein Stolz war ungebrochen und ich wusste, dass er niemals gebrochen werden würde. Ich war angeschlagen und voller blauer Flecken, aber auf meiner Haut prickelte die warme Brise, das Heidekraut duftete nach Honig und ich war glücklich.
Seit fast einer Stunde jagte ich schon nach dieser Forelle. Ohne meinen Geist zu benutzen. In den Kopf eines Fisches einzudringen ist schwer und langweilig und ich freute mich zudem über die Herausforderung. Es war eine gerissene alte Forelle, schon viele hatten erfolglos versucht, sie zu fangen, und ich wollte derjenige sein, der sie endlich zur Strecke brachte. Ich stellte mir vor, wie ich sie meinem Vater überreichen würde, wie Griogairs Augen vor Freude leuchten und vielleicht sogar ein Funken Respekt in ihnen aufblitzen würde.
Und so lag ich bäuchlings auf dem stacheligen Heidekraut, ließ meine Fingerspitzen über die stille Wasseroberfläche gleiten und sang der Forelle leise zu. Fett und schläfrig ruhte der alte Fisch zwischen den Pflanzen am Ufer, und das Wasser war so braun und kühl, dass ich es kaum erwarten konnte, meine Finger um den geschmeidigen Körper des Fisches zu schlingen. Aber ich wusste, dass ich Geduld haben musste.
Als ich mit dem Zeigefinger sachte über seine Wirbelsäule fuhr, ohne dass er sich rührte, wusste ich, dass ich ihn hatte. Ruckartig packte ich zu und schleuderte die Forelle mit einem Triumphschrei aus dem Wasser.
Zappelnd lag sie auf dem grauen Felsen, verdutzt und irgendwie verraten. Meine Freude verflüchtigte sich, als ich sah, wie sie nach Luft schnappte und sich wand. Jetzt sah sie auf einmal gar nicht mehr so großartig aus.
Wieder dachte ich an meinen Vater. Am Morgen war er zusammen mit meinem Halbbruder von einer Dämmerungsjagd heimgekehrt und sie hatten einen schlanken Rehbock hinter sich auf den Sattel gebunden. Mein Halbbruder war vor einem Monat nach Hause zurückgekommen, nachdem er etwa siebzig Meilen weiter nördlich bei einem anderen Clan gelebt hatte. Seit seiner Rückkehr hatte er keinerlei Interesse an mir gezeigt. Nun, die Verachtung beruhte auf Gegenseitigkeit.
Sie lachten, als sie an mir vorbeiritten, zwei unbeschwerte Gefährten, und man sah den lodernden Stolz in Griogairs Augen, als er Conal anschaute. Die Liebe zu seinem Sohn schnürte ihm regelrecht die Kehle zu. Ich wünschte fast, er würde wirklich daran ersticken. Griogair bemerkte mich am Wegesrand gar nicht, aber Conals Blick wanderte zu mir herüber. Er war unlesbar. Conal versuchte erst gar nicht, in meinen Geist einzudringe n – so tief stand ich in der Hierarchie unter ih m –, und ich hegte keinerlei Absicht, den seinen zu betreten, selbst wenn er mich gelassen hätte. Ich wollte seine Verachtung und sein Überlegenheitsgefühl nicht lesen, die Arroganz des Erstgeborenen. In seinem Köcher fehlte nur ein einziger Pfeil. Er hatte den Rehbock gleich mit dem ersten Schuss erwischt und es war ein Prachtstück von einem Tier.
Und was hatte ich erbeutet? Einen Fisch. Keine Sekunde würde mein Vater sich für meinen mickrigen Fisch interessieren.
Ich hob einen Stein auf, um die Forelle zu betäuben, aber nach dem ersten Schlag auf den Kopf konnte ich einfach nicht aufhören. Immer wieder ließ ich den Stein auf das armselige Tier heruntersausen, obwohl es schon längst tot war. Durchsichtiges Fischfleisch, Hautfetzen und zertrümmerte bleiche Gräten bedeckten den Felsen. Aber ich hämmerte immer noch auf die Forelle ein und hatte keine Ahnung, wie ich jemals damit aufhören sollte.
„Lass es nicht an dem Fisch aus.“
Ich sprang auf, den Stein wurfbereit in der Hand.
Conal saß auf einer Felsnase nur ein paar Schritte von mir entfernt, die Arme lässig auf die Knie gestützt, und sah mich an. Götter, wie ich ihn hasste! Er war all das, was ich nicht war. Vor allem erwachse n – er musste über hundert Jahre älter sein
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