Nummer Drei: Thriller (German Edition)
Wir stehen auf der Tauchplattform unserer Jacht im brutalen Sonnenlicht.
Dad hat mir einen Arm um die Schultern gelegt. Sein Schweiß riecht stechend. Das ist ziemlich ungewöhnlich. Im richtigen Leben riecht Dad nach Clinique-Feuchtigkeitscreme für Männer, und wenn er ausnahmsweise mal lässig daherkommen will, nimmt er die Manschettenknöpfe ab. Jetzt trägt er ein zerfetztes kurzärmeliges Hemd. Allerdings ist diese Situation unendlich weit vom Normalzustand entfernt.
Jemand zielt mit einer Pistole auf meinen Kopf.
Die Piraten haben uns umringt, über uns lodert der Glutball der Sonne, brät uns. Der Lauf der Waffe blitzt grellweiß.
Ahmed, der Anführer, schreit wegen eines Schlauchboots der Marine herum, das uns angeblich zu nahe kommt.
»Beiboot muss abdrehen«, sagt er laut in das Handsprechfunkgerät. »Abdrehen, oder wir erschießen Geiseln.«
Das Schlauchboot dreht nicht ab. Es hüpft über die Wellen auf uns zu, ich erkenne die uniformierten und bewaffneten Marinesoldaten, die darin sitzen. Niemand sollte bewaffnet sein, denke ich. Das ist ein Teil der Abmachung.
Ich verkrampfe mich, ziehe die Schultern ein und gebe in den Knien nach, als hätte mir jemand unsichtbare, aber starke Bänder an die Gliedmaßen gebunden und kräftig daran gezogen.
»Keine Sorge, Amy«, sagt Dad. »Hier wird niemand erschossen.«
»Mund halten, Nummer Eins!«, befiehlt Ahmed.
Wir sind nämlich durchnummeriert.
Mein Vater ist Nummer Eins.
Die Stiefmutter ist Nummer Zwei.
Ich bin Nummer Drei.
So ist es vermutlich leichter für die Piraten, wenn sie uns erschießen müssen. Allerdings haben sie uns versprochen, dass es nicht dazu kommt, wenn sich alle an ihre Anweisungen halten.
Wir beobachten das Schlauchboot, das nicht den Eindruck erweckt, als werde es umkehren. Meine Haut juckt am ganzen Körper vom Schweiß und von der heißen Sonne.
Ahmed drückt wieder auf die Sprechtaste.
»Abdrehen!«, ruft er. »Oder Geisel stirbt.«
Zuerst war ich sauer, weil die Stiefmutter vor mir dran war, dass sie Nummer Zwei und ich Nummer Drei sein sollte. Typisch, dass sie schon wieder wichtiger war als ich. So lief es immer ab, seitdem sie vor anderthalb Jahren nach einer Büroparty betrunken aus einem Taxi aus- und in unser Leben eingestiegen ist. Aber das – meine Gereiztheit –, das war vorher. Bevor sich alles zugespitzt hat und die ganze Sache auf einmal kein Abenteuer mehr war. Inzwischen ist die Stellung der Stiefmutter in der Hierarchie der Geiseln meine geringste Sorge.
Irgendwann dachte ich, wenn wirklich ernsthaft etwas den Bach runtergeht, dann wird sie wahrscheinlich vor mir erschossen.
Unsere Crew ist ebenfalls nummeriert, aber die Leute stehen ein Stück abseits. Unsere Familie umgibt so etwas wie ein Kraftfeld, das die angeheuerten Helfer auf Abstand hält.
»Beiboot stoppen«, sagt Ahmed ins Funkgerät, »oder wir erschießen Mädchen.«
Oh, denke ich. Also wird Nummer Drei wohl doch zuerst erschossen. Ich bin so unbeteiligt, als hätte das alles gar nichts mit mir zu tun, als solle eine andere Person eine Kugel in den Kopf bekommen.
Das Beiboot dreht nicht ab. Ahmed lässt den Daumen auf dem Sprechknopf.
»Farouz, erschieß Nummer Drei!«, befiehlt er.
Klingt seine Stimme tatsächlich ein wenig brüchig?
Ahmed, du willst es nicht tun!, möchte ich ihm zurufen. Ich weiß, dass du es gar nicht willst. Und wenn doch? Wenn er tatsächlich bereit ist, mich zu töten?
Und wenn Farouz bereit ist, den Befehl auszuführen?
Mit leicht zitternder Hand richtet Farouz die Waffe auf mich. Es ist eine Pistole. Gewöhnlich trägt er sie, mit einer Schnur befestigt, am Hosenbund. Das Modell und das Kaliber kenne ich nicht. Im richtigen Leben interessiere ich mich nicht für Waffen. Auf einmal scheint es aber schrecklich wichtig zu sein, als könne ich nie wieder Ruhe finden, wenn ich nicht weiß, mit welchem Pistolenmodell er mich tötet.
»Was für eine Pistole ist das, Farouz?«, frage ich.
»Halt den Mund! Halt einfach den Mund!«, ruft er.
Er fuchtelt jetzt so wild herum, dass er mich vermutlich sowieso verfehlen würde. Aber dann würde mich Ahmed oder einer der anderen erschießen. Ahmed und die anderen beiden haben AK - 47 . Das ist eine der wenigen Waffen, die ich erkenne, und das auch nur, weil die Terroristen in Filmen sie immer benutzen.
»Erschieß sie!«, drängt Ahmed.
Das Schlauchboot ist noch dreißig Meter entfernt. Ich erkenne einen Marinesoldaten, der uns mit einem Fernglas beobachtet. Die
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