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Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir

Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir

Titel: Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Sarg blieb zurück. Und es dauerte mehrere Monate, ehe ich mich entschloß, den Sarg auf den Friedhof von St. Louis bringen zu lassen, damit er in der Gruft neben meinem eigenen beigesetzt würde. Das Grab, seit langem vernachlässigt, da meine Familie ausgestorben war, empfing das einzige, das er hinterlassen hatte. Doch kurz darauf tat es mir leid; ich mußte immer daran denken, und das war mir unangenehm. Und so ging ich eines Nachts hin und holte den Sarg heraus, zertrümmerte ihn und ließ die Stücke auf dem Rasen des Friedhofs liegen.
    Bald danach besuchte mich eines Abends der junge Vampir, Lestats letztes Kind. Er bat mich, sein Begleiter und Lehrer zu werden und ihn alles zu lehren, was ich von der Welt wußte. Ich antwortete ihm, was ich vor allem und ganz bestimmt wüßte, sei, daß ich ihn vernichten würde, wenn ich ihn jemals wiedersähe. Ich sagte: ›Sehen Sie, in jeder Nacht, in der ich unterwegs bin, muß jemand sterben, bis ich den Mut habe, Schluß zu machen. Und Sie würden ein prachtvolles Opfer abgeben, denn Sie sind ein Killer, ebenso böse wie ich.‹
    Am nächsten Abend reiste ich ab, weil mich die Sorge nicht losließ. Und ich wollte nicht an das alte Haus denken, in dem Lestat langsam starb, nicht an den gewitzten, modernen Vampir, den ich zurückgelassen hatte. Und nicht an Armand. Ich wollte dort sein, wo mir nichts vertraut und wo mir alles gleichgültig war.
    Und das ist das Ende. Es kommt nichts mehr.«

 
     
    D er Junge starrte den Vampir wortlos an. Und der Vampir saß ihm ruhig und gefaßt gegenüber, die Hände auf dem Tisch gefaltet, die schmalen, rotgeränderten Augen auf das ablaufende Tonband gerichtet. Sein Gesicht war jetzt so hager, daß die Adern an den Schläfen heraustraten, als seien sie gemeißelt. Und er saß so still, daß nur die grünen Augen Leben zeigten, ein Leben, das ganz auf die sich drehenden Spulen konzentriert schien.
    Dann lehnte sich der Junge zurück und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. »Nein«, sagte er, während er tief Atem holte. Und er wiederholte lauter: »Nein! Es hätte nicht so enden müssen!«
    Der Vampir schien ihn nicht zu hören. Sein Blick wanderte von dem Tonbandgerät zum Fenster, zu dem dunklen, grauen Himmel. Jetzt stieß er ein kurzes, trockenes Lachen aus.
    »Alles, was Sie in Paris gefühlt haben…«, fuhr der Junge eifrig fort, »die Liebe für Claudia, das Gefühl, ja das Gefühl für Lestat! Das mußte nicht enden, nicht so, nicht in Verzweiflung! Denn das war es doch, nicht wahr - Verzweiflung?«
    »Halt!« gebot der Vampir und hob die Hand. »Ich habe dir gesagt, und ich sage es dir noch einmal, daß es nicht anders hätte enden können.«
    »Das nehme ich Ihnen nicht ab«, sagte der Junge und schüttelte lebhaft den Kopf. »Ich kann es nicht!« Und die Erregung bemächtigte sich seiner, so daß er, ohne es zu wollen, den Stuhl zurückschob und aufstand, um im Zimmer auf und ab zu gehen. Doch dann, als er sich umwandte und dem Vampir erneut ins Gesicht sah, blieben ihm die Worte in der Kehle stecken. Das Gesicht des Vampirs zeigte eine Mischung von teuflischer Grausamkeit und bitterer Belustigung.
    »Verstehen Sie nicht? So wie Sie es erzählt haben, war es ein Abenteuer, wie ich es nie wieder miterleben werde. Sie sprachen von Leidenschaft, von Liebe; sprachen von Dingen, die Millionen gewöhnlicher Sterblicher nie erfahren, nie verstehen werden. Und dann wollen Sie mir sagen, daß es so enden mußte? Hören Sie…« Er redete mit ausgestreckten Händen auf den Vampir ein. »Wenn Sie mir diese Kraft geben würden! Die Kraft, ewig zu leben, zu sehen und zu fühlen!«
    Der Vampir wich zurück. Seine Augen weiteten sich, er öffnete die Lippen. »Was?« sagte er. »Was…«
    »Gib mir diese Kraft!« sagte der Jüngling. Seine rechte Hand schloß sich zur Faust, und er schlug sich vor die Brust. »Mach mich zu einem Vampir!«
    Der Vampir war aufgesprungen; er packte den Jüngling an den Schultern. »Das… das möchtest du?« flüsterte er mit fast unbewegten Lippen. »Danach also - nach allem, was ich dir erzählt habe - verlangt es dich?«
    Der Jüngling schrie leise auf; er begann am ganzen Körper zu zittern, und der Schweiß brach ihm auf der Stirn und auf der Oberlippe aus. Seine Hand griff nach dem Arm des Vampirs. »Du weißt nicht, wie das menschliche Leben ist«, sagte er, und es schien, als wolle er in Tränen ausbrechen. »Du hast es vergessen. Du verstehst nicht einmal die Bedeutung deiner eigenen

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