Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs
Informationen enthielt. Darin ließ sie mich wissen, dass sie mich nie wiedersehen würde. Doch Jesses Schicksal war mir keine Warnung gewesen. Ich hatte nur eins gedacht, nämlich dass Jesse für die Erforschung der Vampire einfach zu jung gewesen war.
Das alles war Vergangenheit. Der herzzerreißende Schmerz war vergangen, wie auch die begangenen Fehler. Mein sterbliches Le ben war zerschellt, meine Seele hatte sich aufgeschwungen und war gefallen, und das Wenige, das der Mann, der ich einst war, erreicht hatte, was ihm Trost verschafft hatte, war durch mein Vampirleben ausgelöscht. Jesse war eine von uns, ich kannte nun ihre Geheimnisse, und sie würde stets weit, weit entfernt von mir sein.
Nun aber ging es um den Geist, den Jesse einmal während ihrer Forschungen erspäht hatte, um die Geistergeschichte, die Louis im Nacken saß, um das bizarre Verlangen, das ich nun an meine geliebte Merrick stellte: Sie sollte mit ihrem ganzen außerge wöhnlichen Können den Geist Claudias beschwören.
2
In der Stille des Cafés beobachtete ich, wie Merrick einen weiteren großen Schluck von ihrem Rum nahm. Ich genoss die kostbaren Minuten, in denen sie ihre Augen langsam über den verstaubten Raum gleiten ließ.
Aufs Neue vertiefte ich mich in die Erinnerung an jene längst vergangene Nacht, als in Oak Haven der Regen gegen die Fensterscheiben prasselte. Der Raum war warm gewesen und erfüllt vom Duft der Öllampen und des munter flackernden Kaminfeuers. Es war zwar schon Frühling, doch das Unwetter hatte die Luft abge kühlt. Merrick hatte von der Familie der weißen Mayfairs gesprochen, von denen sie, wie sie sagte, so wenig wusste. »Keiner von unseren Leuten, der ein bisschen Vernunft hat, würde das machen«, fuhr sie fort, »ich meine, zu den weißen Verwandten gehen und glauben, er könnte aufgrund des Namens irgendetwas von ihnen erwarten.« Sie machte eine wegwerfende Geste. »Ich gehe doch nicht zu Weißen und versuche, ihnen zu erklären, dass ich zu ihnen gehöre!« Aaron schaute mich an.
Seine flinken grauen Augen verbargen selbst die zarteste Regung, aber ich wusste, er wollte, dass ich darauf antwortete. »Das ist auch nicht nötig, Kind«, sagte ich, »du gehörst nun zu uns, wenn du es so willst. Wir sind deine Verwandten. Dies ist für immer dein Heim. Ob du das ändern möchtest, liegt von nun an allein bei dir.«
Bei diesen Worten verspürte ich einen Schauer, der mich etwas von großer Tragweite und Bedeutung ahnen ließ. Ich gab der Wonne dieses Gefühls nach. »Wir werden dich immer behüten.« Ich hätte sie vielleicht geküsst, wenn sie nicht so fraulich und so hübsch ausgesehen hätte, wie sie da die nackten Füße in den Flor des blumengemusterten Teppichs drückte und sich ihre nackten Brüste unter dem losen Kleid abzeichneten. Sie erwiderte nichts darauf.
»Das waren wohl lauter vornehme Herrschaften«, sagte Aaron beim Betrachten der Fotos. »Und sie sind so gut erhalten, diese kleinen Porträts.« Dann seufzte er. »Ach, es muss ja damals wie ein Wunder gewesen sein, als man lernte, solche Bilder zu machen!«
»Oh ja, mein Urgroßonkel hat das alles aufgeschrieben«, bestätigte Merrick. »Ich weiß nicht, ob die Seiten noch lesbar sind. Schon als die Große Nananne sie mir das erste Mal zeigte, zerfielen sie ihr unter den Händen. Aber wie ich schon sagte, all diese Bilder hat er aufgenommen. Hier, diese Ferotypien, für die man Metallplatten benutzte, die sind auch von ihm.« Sie stieß einen müden Seufzer aus, wie eine erwachsene Frau, die schon alles Mögliche erlebt hat. »Der Urgroßonkel starb erst in hohem Alter, erzählt man, in einem Haus voller Porträts, und dann kamen seine weißen Neffen, und sie zerstörten die Bilder aber dazu komme ich noch.«
Was dann ans Licht kam, war schockierend und berührte mich schmerzlich. Solch eine Tat war unentschuldbar. Daguerreotypien zu zerstören! Gesichter auf ewig verloren! Merrick hatte weiter gesprochen und dabei die kleinen, metallenen Rechtecke aus ihrem Karton geholt, keines war unscharf, wenn auch viele ungerahmt waren.
»Manchmal öffne ich Schachteln aus Nanannes Zimmer und finde nur noch lauter kleine Schnipsel darin. Ich glaube, die Ratten zernagen das Papier. Die Große Nananne sagt, Ratten fressen sogar Geldscheine, deshalb muss man Papiergeld auch in Kassetten aus Eisen aufbewahren. Sie wissen ja, in Eisen steckt Magie. Die Schwestern - ich meine die Nonnen - wissen das nicht. Aber in der Bibel steht, dass man zum
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