Chronik des Cthulhu-Mythos I (German Edition)
Einem Menschen mussten die Behauptungen dieses Flüsterers völlig unglaublich erscheinen – aber wirkten die anderen Dinge nur deshalb noch unfassbarer und widersinniger, weil sie so weit entfernt waren von jedem klaren, konkreten Beweis?
Während mein Verstand inmitten dieses Chaos’ ins Taumeln geriet, wurde mir das Knirschen und Surren der drei Maschinen bewusst, die ich gerade mit dem Zylinder verbunden hatte – ein Geräusch, das bald leiser wurde und schließlich fast nicht mehr vernehmbar war. Was würde jetzt geschehen? Würde ich eine Stimme hören? Und falls ja, konnte es sich nicht einfach um ein clever erdachtes Übertragungsgerät handeln, das von einem ganz in der Nähe verborgenen Sprecher benutzt wurde? Selbst jetzt noch kann ich nicht beschwören, was ich da hörte oder welches Phänomen sich wirklich vor meinen Augen abspielte. Doch irgendetwas schien tatsächlich zu geschehen.
Um mich kurz zu fassen, die Maschine mit den Röhren und der Resonanztafel begann zu sprechen, und zwar auf überaus klare und verständige Art und Weise, sodass kein Zweifel darüber bestehen konnte, dass der Sprecher gegenwärtig war und uns beobachtete. Die Stimme war laut, klang metallisch und hohl und wurde offenkundig völlig mechanisch erzeugt. Sie verfügte weder über Modulation noch Ausdruck; sie kratzte und ratterte einfach mit tödlicher Präzision und Überlegung drauflos.
»Mr Wilmarth«, sagte sie, »ich hoffe, ich erschrecke Sie nicht. Ich bin ein Mensch wie Sie, auch wenn mein Körper sich fast drei Kilometer östlich von hier im Round Hill befindet, wo er mittels einer entsprechenden Behandlungsmethode am Leben erhalten wird. Ich selbst bin hier bei Ihnen: Mein Gehirn befindet sich in diesem Zylinder, und mithilfe dieser elektronischen Oszillatoren kann ich sehen, hören und sprechen. In einer Woche werde ich, wie schon so viele Male zuvor, durch den Weltraum reisen, und hoffe, mich dabei Mr Akeleys Gesellschaft zu erfreuen. Ich wünschte, Sie würden uns ebenfalls begleiten, denn ich kenne Sie vom Sehen und vom Hörensagen. Darüber hinaus habe ich Ihre Korrespondenz mit unserem Freund genau verfolgt. Ich bin natürlich einer der Männer, die sich mit den außerirdischen Wesen, die unseren Planeten besuchen, verbündet haben. Ich begegnete ihnen zum ersten Mal im Himalaya und habe ihnen seither verschiedene Dienste geleistet. Als Gegenleistung haben sie mir Erfahrungen ermöglicht, wie sie bislang nur wenige Menschen machen konnten.
Ist Ihnen klar, was es bedeutet, wenn ich Ihnen sage, dass ich 37 verschiedene Himmelskörper besucht habe – Planeten, dunkle Sterne und kaum beschreibbare Objekte –, acht davon außerhalb unserer Galaxis und zwei außerhalb des gekrümmten Kosmos’ von Raum und Zeit? Und all das hat mir nicht im Geringsten geschadet. Mein Gehirn ist durch eine so geschickte Abtrennung meinem Körper entnommen worden, dass man diese Operation unmöglich als chirurgischen Eingriff bezeichnen kann. Die Besucher verfügen über Methoden, die diese Entnahme einfach machen und als etwas beinahe Normales erscheinen lassen – und während das Hirn entnommen ist, altert der Körper nicht. Ich möchte hinzufügen, dass das Gehirn mit seinen mechanischen Anschlüssen und durch die Ernährung mit einer regelmäßig erneuerten Konservierungsflüssigkeit nahezu unsterblich ist.
Ich hoffe jedenfalls von ganzem Herzen, dass Sie sich dazu entschließen werden, Mr Akeley und mich zu begleiten. Die Besucher sind erpicht darauf, Männer von großem Wissen wie Sie kennenzulernen und ihnen die großen Abgründe zu zeigen, von denen die meisten von uns Unwissenden nur träumen können. Anfangs mag Ihnen die Begegnung mit diesen Wesen seltsam erscheinen, aber ich weiß, dass Sie über solchen Dingen stehen werden. Ich glaube, auch Mr Noyes wird mitkommen – er hat Sie doch sicher in seinem Wagen hierher gebracht, nicht wahr? Er ist seit Jahren einer der Unseren – ich vermute, Sie haben seine Stimme wiedererkannt: Er ist auf der Aufzeichnung, die Mr Akeley Ihnen geschickt hat, zu hören.«
Als ich erschreckt zusammenfuhr, unterbrach sich der Sprecher einen Moment lang, ehe er fortfuhr.
»Nun, Mr Wilmarth, ich überlasse Ihnen die Entscheidung. Ich möchte nur noch hinzufügen, dass ein Mann mit Ihrer Neigung zum Merkwürdigen und zur Volksbrauchtumskunde sich eine solche Gelegenheit nicht entgehen lassen sollte. Es gibt nichts zu befürchten. Alle Übergänge vollziehen sich vollkommen schmerzlos,
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