Chronik des Cthulhu-Mythos I (German Edition)
Haus wirkte zwar weniger rätselhaft, doch die Stunden, zu denen man die Lichter brennen sah, die Heimlichtuerei der zwei dunkelhäutigen Fremden, die als einzige Dienstboten angestellt waren, das grässliche, undeutliche Gemurmel der unglaublich alten französischen Haushälterin, die gewaltigen Mengen an Lebensmitteln, die ins Haus geliefert wurden, in dem nur vier Personen lebten, und die Eigenart der Stimmen, die man zu höchst unchristlichen Zeiten oftmals gedämpft miteinander reden hörte – das alles vereinte sich mit dem, was über die Pawtuxet-Farm bekannt war und verlieh auch diesem Anwesen einen üblen Ruf.
In besseren Kreisen bildete das Curwen-Haus ebenfalls ein Gesprächsthema, denn da der Neuankömmling sich nach und nach am kirchlichen und kaufmännischen Leben der Stadt beteiligt hatte, verfügte er naturgemäß über viele Bekanntschaften aus der nobleren Schicht, deren Etikette und Konversation er als gebildeter Mensch durchaus genoss. Man wusste, dass er aus gutem Hause stammte – die Curwens oder Corwins aus Salem bedurften in Neuengland keiner Vorstellung. Es stellte sich heraus, dass Joseph Curwen schon als Kind viel gereist war, eine Zeit lang in England gelebt und mindestens zwei Orientreisen unternommen hatte. Seine Sprache – falls er denn überhaupt etwas äußerte – war die eines gebildeten und kultivierten Engländers.
Doch aus irgendeinem Grund machte Curwen sich nichts aus gesellschaftlichem Umgang. Er wies zwar keinen Besucher direkt ab, umgab sich aber stets mit einer Mauer der Reserviertheit, sodass nur wenigen etwas zu sagen einfiel, das nicht völlig albern klang. In seinem Verhalten schien eine kryptische, sardonische Arroganz zu lauern, als ödeten ihn alle menschlichen Wesen nur noch an, weil er sich zwischen fremdartigen und mächtigeren Wesenheiten aufgehalten hatte.
Als der berühmte, schlagfertige Dr. Checkley 1738 aus Boston die Stelle als Pfarrer der King’s Church antrat, ließ er es sich nicht nehmen, jenen Mann aufzusuchen, von dem er schon so viel gehört hatte; er ging jedoch sehr rasch wieder, weil er irgendwas Finsteres in der Unterhaltung seines Gastgebers gespürt hatte. Als sie eines Winterabends über Curwen sprachen, sagte Charles Ward zu seinem Vater, er gäbe viel darum zu erfahren, was der geheimnisvolle alte Mann wohl zu dem humorvollen Geistlichen gesagt hatte, doch alle Tagebuchschreiber stimmen darin überein, dass Dr. Checkley sich stets weigerte, etwas von dem Gehörten zu wiederholen. Der gute Mann muss zutiefst schockiert gewesen sein, denn bei jeder Erwähnung von Joseph Curwen verlor er sichtlich die Lebensfreude, für die er so berühmt war.
Klarer umrissen waren dagegen die Gründe, aus denen ein anderer Mann von Geschmack und guter Herkunft den hochmütigen Einsiedler mied. 1746 zog Mr. John Merritt, ein älterer englischer Gentleman mit literarischen und wissenschaftlichen Neigungen, aus Newport in die Stadt, die so rasch zu der angeseheneren der beiden wurde, und baute sich einen eindrucksvollen Landsitz am Neck, im Herzen des Wohnviertels, das heute als das beste gilt. Er lebte in großem Stil und Komfort, verfügte über die erste Kutsche und die ersten livrierten Diener der Stadt und war sehr stolz auf sein Teleskop, sein Mikroskop und seine gut sortierte Bibliothek englischer und lateinischer Werke. Als er hörte, Curwen verfüge über die beste Bibliothek in Providence, stattete Mr. Merritt ihm bald einen Besuch ab und wurde von ihm herzlicher empfangen als die meisten anderen Gäste zuvor.
Merritts Bewunderung für die vielen Bücherregale seines Gastgebers, welche neben den griechischen, lateinischen und englischen Klassikern mit einer bemerkenswerten Reihe philosophischer, mathematischer und wissenschaftlicher Werke ausgestattet waren, darunter Paracelsus, Agricola, Van Helmont, Sylvius, Glauber, Boyle, Boerhaave, Becher und Stahl, verleitete Curwen dazu, einen Besuch auf seinem Gut und im Laboratorium vorzuschlagen. Dorthin hatte er niemanden je zuvor eingeladen. Sogleich fuhren die beiden in Mr. Merritts Kutsche dorthin.
Mr. Merritt hat stets beteuert, eigentlich nichts wirklich Erschreckendes im Farmhaus gesehen zu haben, betonte aber, dass die Titel der Bücher in der speziellen Bibliothek zu thaumaturgischen, alchemistischen und theologischen Themen, die Curwen in einem Nebenzimmer aufbewahrte, allein schon ausgereicht hätten, einen anhaltenden Abscheu in ihm freizusetzen. Vielleicht trug auch der Gesichtsausdruck
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