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Chronik eines angekuendigten Todes

Chronik eines angekuendigten Todes

Titel: Chronik eines angekuendigten Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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und der Erziehung ihrer Kinder widmete, vergaß man bisweilen, dass sie noch da war. Die beiden älteren Töchter hatten sehr spät geheiratet. Außer den Zwillingen hatte sie eine dazwischen geborene, am Abendfieber verstorbene Tochter gehabt, für die sie noch nach zwei Jahren im Hause halbe, auf der Straße jedoch strenge Trauer trugen. Die Brüder wurden erzogen, um Männer zu werden. Die Mädchen waren ausgebildet worden, um zu heiraten. Sie verstanden sich aufs Sticken im Rahmen, konnten mit der Nähmaschine umgehen, Spitzen klöppeln, waschen und bügeln, künstlicheBlumen und phantasievolle Süßspeisen herstellen und Verlobungsanzeigen verfassen. Anders als die jungen Mädchen jener Zeit, die den Todeskult vernachlässigten, waren diese vier Meisterinnen in der uralten Wissenschaft, bei Kranken zu wachen, Sterbende zu trösten und Tote ins Leichentuch zu hüllen. Das Einzige, was meine Mutter ihnen vorwarf, war ihre Gewohnheit, sich vor dem Schlafengehen zu kämmen. »Mädchen«, sagte sie zu ihnen, »kämmt euch nicht nachts, denn dann verspäten sich die Seefahrer.« Doch davon abgesehen meinte sie, es gebe keine besser erzogenen Töchter. »Sie sind perfekt«, hörte ich sie häufig sagen. »Jeder Mann wird mit ihnen glücklich werden, denn sie sind zum Leiden erzogen worden.« Trotzdem war es den Männern, die dann die Älteren geheiratet hatten, schwer gefallen, an sie heranzukommen, denn die Mädchen gingen immer gemeinsam aus, veranstalteten Tanzfeste nur für Frauen und neigten dazu, bei den Männern unlautere Absichten zu wittern.
    Ángela Vicario war die Schönste der vier, und meine Mutter sagte, sie sei wie die großen Königinnen der Geschichte geboren worden: mit der Nabelschnur um den Hals. Und doch wirkte sie hilflos und arm im Geiste, und das verhieß eine ungewisse Zukunft. Ich sah sie Jahr für Jahr in den Weihnachtsferien, und jedes Mal wirkte sie verlassener am Fenster ihres Elternhauses, wo sie nachmittags saß, Stoffblumen anfertigte und mit ihren Nachbarinnen Walzer für ledige Mädchen sang. »Das Dummerchen, deine Kusine, ist bald ein Fall für die Wäscheleine«, sagte Santiago Nasar zu mir.« Kurz vor dem Tod ihrer Schwester traf ich sie zum ersten Mal auf der Straße, plötzlichwie eine Frau gekleidet und mit gelocktem Haar. Ich konnte kaum glauben, dass sie es war. Aber das war nur ein momentaner Eindruck. Ihre Beschränktheit hatte mit den Jahren zugenommen. Als man erfuhr, Bayardo San Román wolle sie heiraten, dachten daher viele, da mache sich ein Fremder einen bösen Spaß.
    Die Familie dachte nicht so, sondern nahm ihn mit Freuden auf. Mit Ausnahme von Pura Vicario, welche die Bedingung stellte, Bayardo San Román müsse sich erst einmal ausweisen. Bis dahin wusste niemand, wer er war. Seine Vergangenheit reichte nicht weiter als bis zu jenem Nachmittag, an dem er in seiner Künstlerkluft an Land gegangen war, und er äußerte sich über seine Herkunft so zurückhaltend, dass selbst das schwachsinnigste Gerücht wahr sein konnte. Es hieß sogar, er habe als Truppenkommandant Dörfer dem Erdboden gleichgemacht und Schrecken in Casanare gesät, er sei aus Cayenne entwichen und in Pernambuco gesichtet worden, wo er versucht habe, sich mit einem Paar abgerichteter Tanzbären durchzuschlagen, auch habe er die Überreste einer goldbeladenen spanischen Galeone in der Windward-Passage gehoben. Bayardo San Román bereitete den Mutmaßungen mit einem einfachen Mittel ein Ende: Er ließ seine Familie vollzählig kommen.
    Es waren vier: der Vater, die Mutter und zwei Aufsehen erregende Schwestern. Sie kamen in einem Ford Modell T mit amtlichem Sonderkennzeichen, und die quäkende Hupe versetzte die Leute um elf Uhr vormittags in Aufruhr. Die Mutter, Alberta Simonds, eine mächtige Mulattin aus Curaçao, die ein noch mit Papiamento durchsetztes Spanisch sprach, war in ihrerJugend zur Schönsten der zweihundert Schönsten der Antillen proklamiert worden. Die soeben erblühten Schwestern glichen zwei rastlosen Fohlen. Aber der Trumpf war der Vater: General Petronio San Román, Held aus den Bürgerkriegen des vorigen Jahrhunderts und eine der Ruhmesgestalten des konservativen Regimes, weil er Oberst Aureliano Buendía bei der verhängnisvollen Schlacht von Tucurinca in die Flucht geschlagen hatte. Meine Mutter war die Einzige, die ihn nicht begrüßte, nachdem sie erfahren hatte, wer er war. »Ich fand es gut, dass sie heirateten«, sagte sie zu mir. »Aber das war das eine, und etwas

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