Chronik eines angekuendigten Todes
hatten schmerzzerrauftes Haar. Sie zogen die Schuhe aus, bevor sie festen Boden betraten, und schritten dann barfuß im glühenden Staub des Mittags die Straßen zum Hügel hinauf, rissen sich büschelweise Haare aus, und ihre Klageschreie waren so herzzerreißend, dass es schon fast nach Jubel klang. Ich sah sie von Magdalena Olivers Balkon aus vorbeigehen und erinnere mich, damals gedacht zu haben, dass so viel Untröstlichkeit nur geheuchelt sein könne, um eine größere Schande zu verbergen.
Oberst Lázaro Aponte begleitete sie zum Hügelhaus, und anschließend ritt der Doktor Dionisio Iguarán auf seinem Maultier für Notfälle hinauf. Als die Sonne milder schien, trugen zwei Männer der Stadtverwaltung Bayardo San Román in einer an einem Pfahl befestigten Hängematte zu Tal, er war bis über den Kopf in eine Decke gehüllt, und die Klageweiber gaben ihm das Geleit. Magdalena Oliver glaubte, er sei tot.
»Herrgottsack«, rief sie, »was für eine Vergeudung!«
Wieder hatte ihn der Alkohol niedergestreckt, doch fiel es schwer zu glauben, er werde lebend abtransportiert, denn seine rechte Hand schleifte über den Boden, und jedes Mal wenn seine Mutter ihm den Arm wieder in die Hängematte legte, fiel dieser von neuem herunter, so dass er vom Steilhang bis zum Schiffskai eine Spur auf der Erde hinterließ. Das war das Letzte, was uns von Bayardo San Román blieb: die Erinnerung an ein Opfer.
Sie ließen das Landhaus unangetastet zurück. Wenn wir in den Ferien heim ins Dorf kamen, stiegen meine Brüder und ich in feuchtfröhlichen Nächten zu Erkundungsausflügen hinauf, und jedes Mal fanden wir weniger wertvolle Gegenstände in den verlassenen Wohnräumen. Einmal fischten wir das Handköfferchen hervor, das sich Ángela Vicario für die Hochzeitsnacht von ihrer Mutter erbeten hatte, aber wir maßen ihm keinerlei Bedeutung bei. Was wir darin fanden, schienen die üblichen Mittel zur Körper- und Schönheitspflege einer Frau zu sein, und ich erfuhr ihren wahren Zweck erst, als Ángela Vicario mirviele Jahre später erzählte, welche Hebammentricks man ihr beigebracht hatte, um den Ehemann hinters Licht zu führen. Das war die einzige Spur, die sie an dem Ort hinterlassen hatte, der fünf Stunden lang ihr Heim als Ehefrau gewesen war.
Jahre später, als ich auf der Suche nach den letzten Zeugenaussagen für diese Chronik zurückkehrte, war nicht einmal mehr ein Abglanz von Yolanda de Xius’ Glück übrig. Trotz Oberst Lázaro Apontes hartnäckiger Wachsamkeit waren die Dinge nach und nach verschwunden, einschließlich des Kleiderschranks mit den sechs mannshohen Spiegeltüren, den die Meisterschreiner von Mompox im Haus hatten zusammensetzen müssen, da er nicht durch die Tür ging. Anfangs dachte der Witwer de Xius erfreut, das seien posthume Einmischungen seiner Gattin, um sich ihren Besitz zu holen. Darüber machte sich Oberst Lázaro Aponte lustig. Doch eines Nachts kam ihm die Idee, eine spiritistische Messe zur Aufklärung des Geheimnisses zu zelebrieren, und Yolanda de Xius’ Seele bestätigte ihm höchstpersönlich, ja, in der Tat, sie hole sich den Plunder des Glücks für ihr Totenheim. Das Landhaus begann zu zerfallen. Das Hochzeitsautomobil vor der Haustür löste sich in seine Bestandteile auf, und zum Schluss blieb nur das von Wind und Wetter zerfressene Gehäuse übrig. Viele Jahre hindurch war nichts von seinem Eigentümer zu erfahren. In der Beweisaufnahme steht eine Erklärung von ihm, allerdings so kurz und nichtssagend, dass sie wie in letzter Minute abgefasst wirkt, um einer unerlässlichen Formalität zu genügen. Dreiundzwanzig Jahre später suchte ich ein einzigesMal mit ihm zu sprechen, und er empfing mich mit einer gewissen Aggressivität, weigerte sich, auch nur die kleinste Angabe beizusteuern, die erlaubt hätte, seinen Anteil an dem Drama ein wenig aufzuklären. Jedenfalls wussten nicht einmal seine Eltern sehr viel mehr von ihm als wir, und sie hatten nicht die geringste Ahnung, was er damals in einem abgelegenen Dorf suchte, außer offenbar eine Frau zu heiraten, die er nie zuvor gesehen hatte.
Von Ángela Vicario hingegen erhielt ich immer windstoßartig Nachrichten, die mir ein idealisiertes Bild vorgaukelten. Meine Schwester, die Nonne, reiste eine Zeit lang durch die Hohe Guajira, weil sie dort die letzten Götzenanbeter bekehren wollte, und machte jedes Mal in dem vom Karibiksalz ausgedörrten Weiler halt, in dem Pura Vicario die Tochter bei lebendigem Leib zu begraben
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