Chroniken der Schattenjäger 1 - Clockwork Angel
darum, was wir mit Ihnen anstellen sollen. Schattenweltler können nicht auf ewig im Institut wohnen«, erwiderte Will. »Ich schlage ja vor, wir verkaufen sie an die Zigeuner in Hampstead Heath«, wandte er sich an Charlotte. »Dem Vernehmen nach erwerben diese nicht nur Pferde, sondern auch überzählige Frauen.«
»Will, hör auf.« Charlotte schaute von ihrem Frühstück auf. »Das ist einfach lächerlich.«
Will ließ sich gegen die Stuhllehne sinken. »Du hast recht. Die Zigeuner würden sie niemals kaufen. Zu dürr.«
»Jetzt reicht's«, sagte Charlotte. »Miss Gray kann hier wohnen bleiben. Und sei es auch nur deshalb, weil wir uns noch mitten in den Ermittlungen befinden, die ihre Hilfe erfordern. Ich habe dem Rat bereits eine Nachricht zukommen lassen und ihn darüber informiert, dass sie bei uns bleibt, bis die Angelegenheit mit dem Pandemonium Club geklärt und ihr Bruder aufgespürt ist. Habe ich recht, Henry?«
»Vollkommen«, bestätigte Henry und legte seine Zeitung beiseite. »Dieses Pandemonium-Dingsbums hat höchste Priorität. Ganz ohne Zweifel.«
»Dann solltest du besser Benedict Lightwood ebenfalls informieren«, wandte Will ein. »Du weißt ja, wie er manchmal ist.«
Charlotte wurde leicht blass um die Nase und Tessa fragte sich, wer dieser Benedict Lightwood wohl war. »Will, ich möchte, dass du heute das Haus der Dunklen Schwestern noch einmal aufsuchst. Es steht zwar inzwischen leer, aber eine abschließende Durchsuchung kann nicht schaden. Und ich möchte, dass du Jem mitnimmst ...«
Bei diesen Worten änderte sich Wills belustigte Miene schlagartig. »Geht es ihm dafür denn gut genug?«
»Oh ja, es geht ihm gut genug«, erklang eine Stimme von der anderen Seite des Raums: Neben dem Sideboard stand Jem mit verschränkten Armen. Er war unbemerkt eingetreten und wirkte deutlich weniger blass als am Abend zuvor - seine rote Weste zauberte sogar einen Hauch Farbe auf seine Wangen. »Genau genommen wartet er nur darauf, dass du dich fertig machst.«
»Du solltest zuerst etwas frühstücken«, sorgte Charlotte sich und schob die Servierplatte mit Speck in seine Richtung. Als Jem sich setzte und Tessa über den Tisch hinweg anlächelte, fügte Charlotte hinzu: »Oh, Jem - das ist Miss Gray. Sie ist ...«
»Wir haben uns bereits kennengelernt«, erwiderte Jem ruhig und Tessa spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht schoss. Es gelang ihr nicht, den Blick von ihm abzuwenden, während er eine Toastscheibe nahm und sie mit Butter bestrich. Wie konnte jemand, der so ätherisch wirkte, einfach dasitzen und Toast essen?
Charlotte schaute verwirrt von Tessa zu Jem. »Ach, wirklich? Wann denn?«
»Ich bin Miss Gray gestern Abend auf dem Gang begegnet und habe mich ihr selbst vorgestellt. Ich glaube, ich habe ihr einen tüchtigen Schrecken eingejagt.« Seine silberhellen Augen trafen sich mit Tessas und funkelten vor Vergnügen.
Charlotte zuckte die Achseln. »Nun gut. Ich möchte, dass du Will begleitest. In der Zwischenzeit könnten Sie, Miss Gray ...«
»Bitte nennen Sie mich ›Tessa‹«, warf Tessa ein. »Es wäre mir sehr lieb, wenn mich ab jetzt alle so anreden würden.«
»Also schön, Tessa«, sagte Charlotte mit einem leichten Lächeln. »Henry und ich werden Mr Axel Mortmain, dem Arbeitgeber Ihres Bruders, einen Besuch abstatten. Mal sehen, ob er oder einer seiner Angestellten irgendwelche Informationen über seinen Verbleib hat.«
»Vielen Dank.« Tessa war überrascht. Die Schattenjäger hatten zwar versprochen, nach ihrem Bruder zu suchen, aber Tessa hatte nicht damit gerechnet, dass sie sich tatsächlich an ihr Wort hielten.
»Von Axel Mortmain habe ich schon einmal gehört«, bemerkte Jem. »Er war ein Taipan, einer der ganz großen Geschäftsmänner in Shanghai. Sein Unternehmen verfügte über Geschäftsräume am Bund.«
»Ja«, bestätigte Charlotte. »In den Zeitungen steht, dass er sein Vermögen mit dem Import von Seide und Tee gemacht hat.«
»Pah«, widersprach Jem leichthin, allerdings mit einem leicht scharfen Unterton in der Stimme. »Er hat sein Vermögen mit dem Verkauf von Opium gemacht. Genau wie alle anderen. Sie haben Opium in Indien eingekauft, mit dem Schiff nach Kanton gebracht und dort gegen Handelswaren eingetauscht.«
»Aber damit hat er nicht gegen das Gesetz verstoßen, James.« Charlotte schob die Zeitung quer über den Tisch zu Jessamine. »In der Zwischenzeit könntest du, Jessie, zusammen mit Tessa einen Blick hier hineinwerfen und alles
Weitere Kostenlose Bücher