Zerstörter Traum vom Ruhm
Er stand auf der Straße und hatte zwölf Briefe in der Hand.
Obwohl die Kuverts verschieden waren und auch die Absender, brauchte er sich nicht die Mühe zu machen, die Briefe zu öffnen und die Schreiben zu lesen. Sie würden fast gleichlautend sein – er wußte es im voraus. Er brauchte sie nur zwischen zwei Fingern zu drücken oder in der Hand zu wiegen, um zu wissen, daß sie alle das gleiche enthielten:
Ein Manuskript von Franz v. Poltecky und ein gedrucktes Begleitschreiben der Redaktion: Wegen Platzmangel bedauern wir außerordentlich, daß …
Hinter ihm pendelte die Tür des Postamtes VI mit leisem Zischen hin und her. Zsch – zsch – zsch … und Menschen kamen und gingen, umkreisten den Mann, der vor der Tür stand, eilten weiter die Straße entlang oder stiegen in abgestellte Autos, ließen den Motor aufheulen, krachten mit den Gängen und fuhren davon.
Franz Schuster steckte die zwölf Briefe in die Tasche seines Regenmantels und wischte sich kurz mit der Hand über die Augen. Es war eine leise, traurige Bewegung.
Warum schickt man sie eigentlich zurück, dachte er. Es sind Kurzgeschichten, kleine Erzählungen, Betrachtungen, Satiren – keine Kunstwerke, zugegeben, aber sie sind auch nicht schlechter als die Masse derer, die man in allen Zeitungen täglich liest – oder nicht liest, ganz, wie's beliebt.
Franz Schuster seufzte und verließ seinen Standort vor der zischenden Tür des Postamtes. Wenn er seine Kurzgeschichten den beiden Lehrmädchen der Drogerie oder gar dem Chef selbst in einer stilleren Ladenzeit vorlas, klopfte man ihm auf die Schulter und verkündete:
»Aus Ihnen wird noch einmal etwas anderes als Drogist! Sie haben das Zeug zum Literaten.« Das sagte der Chef, der Herr Drogist Peter Meyer. Und die Lehrmädchen kicherten und himmelten ihn, Franz Schuster, an und meinten: »Wenn Sie beim Film gelandet sind, denken Sie dann auch mal an uns? Sie kommen bestimmt zum Film – bei den Ideen!«
Diese Ermunterungen hielten Franz Schuster davon ab, seine Kurzgeschichten zu verbrennen und sich voll und ganz auf seinen Beruf als Drogist zu konzentrieren. Er opferte weiter über die Hälfte seines Gehalts für Papier, Leihmiete für eine alte, klappernde Schreibmaschine und Porto (immer doppelt, denn unbekannte Autoren müssen immer Rückporto beilegen), er gönnte sich weiterhin als Abendmahlzeit nichts anderes als in exakter Abwechslung Brot und einen Streichkäse, Brot und ein Stück Schmierwurst, Brot und einen Hering in Gelee – und alles Geld, was übrigblieb, steckte er in den Glauben, als Franz v. Poltecky doch noch einmal gedruckt zu werden und endlich, endlich den Blick von Redakteuren und Verlegern auf sich zu lenken.
Heute nun war der dreiundzwanzigste des Monats. Ein festes Datum im Leben des kleinen Drogisten Franz Schuster. Mit dem Dreiundzwanzigsten hörten die Manuskriptsendungen auf, denn was bis zum Ersten des neuen Monats an Geld übrigblieb, war genau eingeteilt für die notwendigsten Bedürfnisse eines wirklich bescheidenen Lebens.
Im Fotolabor der Drogerie, dort, wo die Schalen mit den Entwicklern und das Fixierbad standen, setzte sich Franz Schuster auf einen Schemel und sichtete die zwölf Briefe.
Der Irrtum spielt im Leben des Menschen eine große Rolle. Durch einen Irrtum wurde das Porzellan erfunden und wurde Hauptmann Dreyfus auf die Teufelsinsel verbannt. Auch bei Franz Schuster war es ein Irrtum, der weittragende Folgen haben sollte.
Brief Nummer zwölf, den er schon ungeöffnet beiseite legen wollte, weil er wie die anderen elf doch nur ein vorgedrucktes Schreiben enthalten würde (hier lag der Irrtum!), war ein dünneres Kuvert als die anderen. Es trug den Absender:
Astoria-Film AG. Produktionsleitung. Hamburg.
Franz Schuster betrachtete den Brief mißtrauisch. Vor sechs Wochen hatte er auf eine Meldung in der Zeitung hin, daß in Hamburg eine neue Filmgesellschaft Verbindung mit jungen Autoren suche, ein Rohdrehbuch (so wie er sich ein Drehbuch dachte) hingeschickt. Als das Päckchen schon aufgegeben war, hatte er mit Schreck festgestellt, daß er das Rückporto beizulegen vergessen hatte. Es nachzuschicken, kam ihm zu dumm vor – vielleicht konnte man es beifügen, wenn man in acht Wochen höflich und schüchtern einmal nachfragte, ob der Herr Dramaturg schon einen Blick auf das Drehbuch ›Die Nachtigall‹ geworfen habe.
Und nun dieser Brief! Dünn, verdächtig dünn, wahrscheinlich nur die Aufforderung, siebzig Pfennig für die
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