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Chroniken der Schattenjäger 1 - Clockwork Angel

Chroniken der Schattenjäger 1 - Clockwork Angel

Titel: Chroniken der Schattenjäger 1 - Clockwork Angel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cassandra Clare
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gehüllt und mit flachen Blumenkörben in den Händen, stürzten sich selbstmörderisch in den Verkehr, im Versuch, die Insassen der hochherrschaftlichen Pferdegespanne für ihre Waren zu interessieren. Und immer wieder musste eine Droschke plötzlich mitten auf der Straße anhalten, wodurch der Verkehr noch stärker ins Stocken geriet und was andere Droschkenkutscher dazu veranlasste, lauthals wüste Verwünschungen auszustoßen. Dieses Geschrei mischte sich mit dem ohnehin schon grässlichen Getöse aus Eisverkäufern, Zeitungsjungen mit den neuesten Schlagzeilen und dem gelegentlichen Spiel eines Leierkastenmanns. Tessa fragte sich, wieso die Bewohner Londons bei diesem Lärm nicht längst taub geworden waren.
    Während sie aus dem Fenster schaute, schlurfte eine alte Frau vom Gehweg herunter auf die Kutsche zu; in den knorrigen Händen hielt sie einen großen Metallkäfig mit wild flatternden, schillernden Vögeln. Als die Frau den Kopf drehte, sah Tessa, dass ihre Haut so grün schimmerte wie Papageienfedern und dass sie statt Haaren einen bunten Federschopf auf dem Kopf trug. Aus nachtschwarzen Vogelaugen blickte sie in die Kutsche. Tessa zuckte erschrocken zurück und Jessamine, die ihrem Blick folgte, runzelte die Stirn.
    »Schließen Sie die Vorhänge«, sagte sie. »Das hält uns den Schmutz vom Hals.« Damit beugte sie sich an Tessa vorbei zum Fenster und zog die Vorhänge eigenhändig zu.
    Tessa betrachtete das Mädchen: Jessamine hatte die schmalen Lippen zu einer dünnen Linie zusammengepresst. »Haben Sie das gesehen ...?«, setzte Tessa an.
    »Nein«, erwiderte Jessamine schroff und warf Tessa einen Blick zu, der in ihren Büchern häufig als »vernichtend« beschrieben worden war. Hastig schaute Tessa zur Seite.
    Als sie schließlich das vornehme West End erreichten, besserte sich die Stimmung auch nicht gerade. Jessamine erteilte Thomas den Auftrag, bei der Kutsche zu warten, und zerrte Tessa dann von einem Modesalon zum nächsten, wo sie Entwurf für Entwurf betrachtete, während jeweils die hübscheste Verkäuferin die verschiedenen Modelle vorführte. (Keine echte Dame würde ein Kleid, das schon einmal von einer Fremden getragen worden war, an ihre Haut kommen lassen.) In jedem Salon gab Jessamine einen anderen, falschen Namen an und erzählte eine andere, erfundene Geschichte; und in jedem dieser Salons schienen die Besitzerinnen entzückt von ihrem Erscheinungsbild und ihrem offensichtlichen Reichtum und überschlugen sich förmlich, sie zu bedienen. Tessa hingegen wurde meist ignoriert und begnügte sich wohl oder übel - und zu Tode gelangweilt - mit der Rolle einer Zuschauerin.
    In einem der Modesalons gab Jessamine sich sogar als junge Witwe aus und ließ sich ein schwarzes Trauergewand aus Crepe de Chine und Spitze vorführen. Allerdings kam dadurch ihr blondes Haar sehr vorteilhaft zur Geltung, wie selbst Tessa sich eingestehen musste.
    »In diesem Kleid würden Sie einfach hinreißend aussehen und sicherlich bald eine vorteilhafte Wiedervermählung in Erwägung ziehen können.« Die Schneiderin zwinkerte ihr verschwörerisch zu. »Wissen Sie, wie wir dieses Modell nennen? Die Honigfalle.«
    Jessamine kicherte, die Damenschneiderin lächelte wissend und Tessa überlegte kurz, ob sie auf die Straße hinauslaufen und ihrem Leben ein Ende setzen sollte, indem sie sich vor eine heranrasende Kutsche warf. Offenbar spürte Jessamine ihre Verärgerung, denn kurz darauf wandte sie sich ihr zu, ein gönnerhaftes Lächeln im Gesicht. »Ach ja: Ich benötige auch noch ein paar Kleider für meine Cousine aus Amerika«, sagte sie. »Die dortige Mode ist schlichtweg grauenerregend. Obendrein ist meine Cousine so flach wie ein Brett, was die Sache auch nicht gerade erleichtert. Aber ich bin mir sicher, dass Sie da bestimmt etwas machen können.«
    Die Schneiderin blinzelte, als würde sie Tessa zum ersten Mal wahrnehmen - und möglicherweise war das ja tatsächlich der Fall. »Würden Sie sich gern ein Modell ansehen, Madam?«, fragte sie schließlich.
    Die darauf folgende betriebsame Geschäftigkeit erschien Tessa wie eine Art Offenbarung: In New York hatte immer Tante Harriet ihre Kleidung gekauft - vorgeschneiderte Kleider, die erst umgeändert werden mussten, damit sie passten, und die in der Regel aus billigen Stoffen in tristen Tönen wie Dunkelgrau oder Marineblau gefertigt waren. Aber niemand hatte Tessa bisher gezeigt, dass ihr ein kräftiger Blauton viel besser stand und ihre graublauen Augen

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